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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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zurückkamen, oder nur die, die man dazu aufforderte.
    Sie kennt ein paar, auf die sie gut und gerne verzichten kann. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, tote Leute, die ungebeten zum Essen hereinplatzen! Und sie selbst im Bett wie ein riesiges Stück Obstkuchen. Sie wird das ganze Zimmer ummodeln, ein bißchen Pep reinbringen, ein bißchen Struktur. Sie hat die Nase voll von Weiß.
    Sie schlurft ins Badezimmer, trinkt zwei Gläser Wasser, um ihre Zellen aufzufüllen, nimmt ihre Vitaminpille, putzt sich die Zähne, cremt, wischt, klärt und belebt ihre Haut und schneidet sich selbst im Spiegel eine Grimasse. Ihr Gesicht verschlammt allmählich wie ein Tümpel; Schichten lagern sich an. Ab und zu, wann immer sie die Zeit erübrigen kann, verbringt sie ein paar Tage in einem Kurort nördlich der Stadt, trinkt Gemüsesaft und läßt sich mit Ultraschall behandeln, in der Hoffnung, ihr ursprüngliches Gesicht wiederzufinden, das Gesicht, von dem sie weiß, daß es irgendwo unter der Oberfläche verborgen liegt; jedes Mal kommt sie gekräftigt und tugendhaft und völlig ausgehungert zurück. Und wütend auf sich selbst. Sie bemüht sich doch nicht etwa immer noch; sie ist doch nicht immer noch im männerbecircenden Geschäft? Das hat sie doch längst hinter sich. Ich tu’s für mich, sagt sie zu Tony.
    Verpiß dich, Mitch, sagt sie zum Spiegel. Wenn du nicht wärst, könnte ich mich entspannen und in Ruhe älter werden. Aber wenn er noch da wäre, würde sie immer noch versuchen, ihm zu gefallen. Das Schlüsselwort lautet versuchen.
    Trotzdem müssen ihre Haare anders werden. Sie sind dieses Mal zu rot geraten. Sie sehen aufgetakelt aus, ein Wort, das sie immer geliebt hat. Aufgetakelte Fregatte, las sie in den englischen Detektivromanen, während sie zusammengekauert auf dem alten Schiffskoffer saß, der in ihrem Mansardenzimmer als Fenstersitz diente, die Füße unter den Körper gezogen, das Zimmer der Heimlichkeit halber dunkel, wie bei einem Luftangriff, das Buch schräg haltend, damit das Licht der Straßenlampe auf die Seite fallen konnte, in der Abenddämmerung, in dem Logierhaus in der Huron Street mit der Kastanie davor. Roz! Bist du immer noch auf? Marsch ins Bett, hast du mich verstanden , und keine Tricks mehr, du Göre!
    Wie konnte sie Roz im Dunkeln lesen hören? Ihre Mutter, die Hauswirtin, ihre Mutter, die unglaubwürdige Märtyrerin, die am Fuß der Mansardentreppe stand und mit ihrer heiseren Waschfrauenstimme nach oben schrie, und Roz war jedesmal zutiefst gedemütigt, weil die Mieter es hören konnten. Roz, die Toilettenputzerin, Roz, die billige Aschenputtelversion, mürrisch schrubbend. Solange du die Füße unter meinen Tisch steckst , sagte ihre Mutter, hilfst du gefälligst. Das war, bevor ihr Vater, der Held, Lumpen in Reichtümer verwandelte. Abgetakelte Fregatte , murmelte Roz vor sich hin, ohne auch nur im entferntesten zu ahnen, daß sie je selbst eine werden könnte. Es war alles andere als einfach, mit einem Helden auf der einen und einer Märtyrerin auf der anderen Seite aufzuwachsen. Es ließ keine große Rolle für sie selbst übrig.
    Das Haus existiert nicht mehr. Das heißt, es existiert schon noch, aber es ist jetzt chinesisch. Soviel sie weiß, mögen die Chinesen keine Bäume. Sie glauben, daß böse Geister in den Zweigen sitzen, all die traurigen Dinge, die denen zustießen, die je dort lebten. Vielleicht ist auch etwas von Roz, der Roz, die sie damals war, in den Zweigen jener Kastanie verfangen, falls es sie noch gibt. Und flattert dort herum.
    Sie überlegt, ob es wohl sehr schwierig wäre, ihre Haare grau zu färben, die Farbe, die sie hätten, wenn sie sie nachwachsen ließe. Wenn sie graue Haare hätte, würde man ihr mehr Respekt entgegenbringen. Sie wäre dann entschlossener. Nicht mehr so ein Softie. Eine eiserne Lady! Ha! Keine Chance.
    Roz’ neuester Morgenmantel hängt an der Badezimmertür. Orangefarbener Velours. Orange ist die Farbe dieses Jahres; letztes Jahr war es ein giftiges Gelb, das sie beim besten Willen nicht tragen konnte. Sie sah darin aus wie ein Zitronenlutscher. Aber das Orange läßt ihre Haut von innen leuchten, dachte sie zumindest, als sie das verflixte Ding kaufte. Sie glaubt an die kleine innere Stimme, die Stimme, die sagt: Das bist du! Das bist du! Greif schnell zu, sonst ist es vielleicht weg! Aber die kleine innere Stimme wird immer unzuverlässiger, und dieses Mal muß sie zu jemand anderem gesprochen haben.
    Sie zieht den Morgenmantel

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