Die Räuberbraut
ihre Tasche zusammen und schickt sich an, die Verfolgung aufzunehmen.
Roz 12
Im Traum öffnet Roz Türen. Hier nichts, da nichts, und sie ist in Eile, die Flughafenlimousine wartet, und sie hat nichts an, hat keine Kleider an ihrem großen, schlaffen, groben, peinlichen Körper. Endlich findet sie die richtige Tür. Dahinter sind Kleider, das schon, lange Mäntel, die wie Männermäntel aussehen, aber das Licht geht nicht, und der erste Mantel, den sie von einem der Kleiderbügel nimmt, ist naß und voller lebendiger Schnecken.
Der Wecker klingelt, keinen Augenblick zu früh. Heilige Minna Muttergottes, murmelt Roz benommen vor sich hin. Sie haßt Kleiderträume. Sie sind wie Einkäufen, bloß daß sie nie etwas findet, was sie haben will. Trotzdem träumt sie lieber von schneckenüberzogenen Mänteln als von Mitch.
Oder von Zenia. Vor allem Zenia. Manchmal hat sie Träume, die von Zenia handeln, Zenia, die in einer Ecke von Roz’ Schlafzimmer Gestalt annimmt, sich nach der Bombenexplosion aus den Fetzen ihres Körpers wieder zusammensetzt: eine Hand, ein Bein, ein Auge. Sie fragt sich, ob Zenia je in diesem Schlafzimmer war, wenn sie, Roz, es nicht war. Dafür aber Mitch.
Ihre Kehle schmeckt nach Rauch. Sie streckt die Hand aus, tastet nach dem Wecker und stößt dabei ihren neuesten Schundthriller vom Nachttisch. Sexualmorde, Sexualmorde; dieses Jahr gibt es anscheinend nichts als Sexualmorde. Manchmal sehnt sie sich zurück in die gesetzten und gesitteten englischen Landhäuser ihrer Jugend, in denen das Opfer immer ein böser, alter Geizkragen war, der den Tod verdient hatte, und nicht eine arme Unschuldige, die willkürlich von der Straße gegriffen wird. Die Geizkragen wurden durch Gift oder eine einzige Kugel getötet, die Leichen bluteten nicht. Die Detektive waren vornehme, grauhaarige alte Damen, die unaufhörlich strickten, oder sehr kluge Exzentriker ohne Körperfunktionen; sie konzentrierten sich auf winzige, harmlos wirkende Hinweise: Hemdknöpfe, Kerzenstummel, Petersilienblätter. Am meisten liebte Roz die Möbel: Zimmer um Zimmer voller Möbel, und alle so exotisch! Sachen, von denen sie nicht einmal wußte, daß sie existierten. Teewagen. Billardzimmer. Kronleuchter. Chaiselongues. Sie wollte auch in so einem Haus leben! Aber wenn sie diese Bücher heute zur Hand nimmt, interessieren sie sie nicht mehr; nicht einmal das Dekor kann ihre Aufmerksamkeit fesseln. Vielleicht werde ich allmählich süchtig nach Blut, denkt sie. Nach Blut und Gewalt und blinder Wut, wie alle anderen.
Sie schwingt die Beine über die Kante ihres riesigen Himmelbetts ein Fehler, sie bricht sich praktisch jedes Mal das Genick, wenn sie von dem verflixten Ding heruntersteigen muß – und stopft die Füße in ihre Frotteepantoffeln. Ihre Hauswirtinnen-Pantoffeln, wie die Zwillinge sagen, ohne sich darüber klar zu sein, was für ein beunruhigendes Echo dieses Wort für Roz besitzt. Sie haben ihr Leben lang noch keine Hauswirtin gesehen. Ihr Leben, oder ihre Leben? Roz kann immer noch nicht genau sagen, ob jede der beiden ein eigenes Leben hat oder ob sie sich ein einziges Leben teilen. Jedenfalls fühlt Roz sich verpflichtet, den ganzen Tag über attraktive Schuhe zu tragen, Schuhe, die zu ihrer Garderobe passen, Schuhe mit hohen Absätzen, und deshalb steht es ihr zu, zu Hause etwas Bequemeres an ihren armen, gequälten Füßen zu haben, egal was die Zwillinge sagen.
Das viele Weiß in ihrem Schlafzimmer ist auch ein Fehler – die weißen Vorhänge, der weiße Teppich, die weißen Rüschen auf dem Bett. Keine Ahnung, was plötzlich über sie kam. Vielleicht versuchte sie, einen mädchenhaften Look zu erzielen; vielleicht versuchte sie, die Zeit zurückzudrehen und jenes perfekte Jungmädchenzimmer zu schaffen, nach dem sie sich immer sehnte, das sie aber nie hatte? Es war, nachdem Mitch gegangen, getürmt, abgehauen war, ausgecheckt hatte trifft es mehr, er behandelte das Haus immer wie ein Hotel; er behandelte sie wie ein Hotel, sie mußte damals einfach alles wegwerfen, was da war, als er da war; sie mußte wieder zu sich selbst finden. Aber das hier ist ganz bestimmt nicht sie selbst! Das Bett sieht aus wie ein Korbwagen für ein Baby, oder wie ein Hochzeitskuchen, oder, schlimmer noch, wie diese riesigen, gerüschten Altäre, die in Mexiko am Tag der Toten aufgestellt werden. Sie hat nie herausbekommen (damals, als sie da war, mit Mitch, in den Flitterwochen, als sie so glücklich waren), ob alle Toten
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