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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Sie mahlt ihre Bohnen, mißt den Kaffee ab, schaltet ihre niedliche italienische Espressomaschine ein. Während sie wartet, schält sie sich eine Orange.
    »Ich glaub, er hat was laufen«, sagt Erin.
    Paula hat sich aus Roz’ Orangenschalen ein Gebiß gemacht. »Pouf, qui sait, c’est con ga , je m’enfiche «, sagt sie mit ausgefeiltem Schulterzucken, Lispeln und Spucken. Das ist so ungefähr das einzige, was die beiden aus dem Französischunterricht übrigbehalten haben: Straßenausdrücke. Roz kennt die meisten nicht, Gott sei Dank.
    »Ich glaub, ich hab euch verzogen«, sagt sie zu den beiden.
    »Verzogen, moi ?« sagt Erin.
    »Erla ist nicht verzogen«, sagt Paula mit gespielter, schmollender Unschuld und nimmt die Orangenschalenzähne aus dem Mund. »Oder etwa doch, Erla?«
    »Heilige Minna, ach du je du grüne Neune, nein, Mommy, nein!« sagt Erin. Die beiden linsen aus dem Gewusel ihrer Haare zu ihr herüber, ihre leuchtenden Augen schätzen sie ab. Ihr Kiebitzen, ihre Grimassen, ihre vulgären Albernheiten, ihr Lachen, alles ein Ablenkungsmanöver, das sie ihr zuliebe in Szene setzen. Sie ziehen sie auf, aber nicht zu sehr: sie wissen, daß sie nur bis zu einem gewissen Punkt belastbar ist. So sprechen sie zum Beispiel nie von Mitch. Sie tun so, als hätte er nie existiert. Vermissen sie ihn, haben sie ihn geliebt, sind sie wütend auf ihn, haben sie ihn gehaßt? Roz weiß es nicht. Sie lassen es sie nicht wissen. Irgendwie ist das schwerer.
    Sie sind so wundervoll! Sie sieht sie mit leidenschaftlicher Liebe an. Zenia , denkt sie, du dreckiges Miststück! Vielleicht hast du alles andere gehabt, aber diesen Segen hast du nie gehabt. Du hast nie Töchter gehabt. Sie fängt an zu weinen, vergräbt den Kopf in den Händen, die Ellbogen auf die kalten, weißen Kacheln der Frühstücksbar gestützt, und Tränen rollen ihr hoffnungslos über die Wangen.
    Die Zwillinge drängen sich um sie, kleiner, als sie es eben noch waren, ängstlicher, schüchterner, sie tätscheln sie, sie streicheln ihr den orangefarbenen Rücken. »Ist ja gut, Mom, ist ja gut«, sagen sie.
    »Seht euch das an«, sagt sie zu ihnen. »Jetzt hab ich meinen Ellbogen in eure verflixte blaue Milch getaucht!«
    »O du liebes Bißchen«, sagen sie. »O verflixt!« Sie lächeln sie erleichtert an.

13
    Die Zwillinge räumen ihre hohen Milchmixgläser demonstrativ in die Spülmaschine, verschwinden in Richtung Treppe, vergessen das Mixgefäß, erinnern sich daran und kommen zurück, tun es in die Maschine, vergessen die Pfütze blauer Milch. Roz wischt sie auf, während die beiden die Treppe hinauflaufen, zwei Stufen auf einmal, und durch den Flur in ihre Zimmer stürmen, um sich für die Schule fertigzumachen. Sie sind jedoch leiser als üblich; normalerweise hören sie sich an wie eine Herde Elefanten. Oben plärren zwei Stereoanlagen gleichzeitig los, zwei unterschiedliche, miteinander wetteifernde Rhythmen.
    In ein paar Jahren werden sie weg sein, auf der Universität, in einer anderen Stadt. Das Haus wird still sein. Roz will nicht darüber nachdenken. Vielleicht wird sie diese Scheune von einem Haus verkaufen. Sich eine sündhaft teure Eigentumswohnung zulegen, mit Blick auf den See. Mit dem Türsteher flirten.
    Sie sitzt an der weißen Frühstücksbar, trinkt endlich ihren Kaffee und ißt ihr Frühstück. Zwei Stücke Zwieback. Eine Orange und zwei Stücke Zwieback, weil sie eine Diät macht. Eine Art Diät. Eine Mini-Diät.
    Sie hat schon alle möglichen Diäten ausprobiert. Grapefruit, Kleie, Kleie und nochmals Kleie, Proteine und sonst nichts. Wie der Mond nahm sie ständig ab und zu in dem Versuch, die zwanzig Pfund, die sie sich zugelegt hat, als die Zwillinge unterwegs waren, wieder loszuwerden. Aber jetzt ist sie ist nicht mehr so drastisch. Sie weiß jetzt, daß diese verrückten Diäten schlecht für einen sind, die Zeitschriften sind voll davon gewesen. Der Körper ist wie eine belagerte Festung, sagen sie; er lagert in seinen Fettzellen Vorräte an, er hortet für den Notfall, und wenn man eine Diät macht, denkt er, daß man ihn völlig aushungern will und hortet noch mehr, und zu guter Letzt ist man erst recht eine Tonne. Aber ein bißchen Entbehrung hier und da kann nicht schaden. Ein bißchen weniger essen ist keine richtige Diät. Abgesehen davon ist sie nicht fett. Sie ist einfach nur solide gebaut. Sie hat einen robusten Bauernkörper, aus der Zeit, als die Frauen die Pflüge ziehen mußten.
    Obwohl sie vielleicht nicht

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