Die Räuberbraut
an ihrem Hinterkopf. Dann kniet sie sich hin und sieht hinaus. »Wo kommen denn all die Schmierflecken her?« fragt sie mit einer höheren, gepreßteren Stimme. Es ist die Stimme, die sie benutzt, wenn sie so tut, als sei sie glücklich, wenn sie auf Tonys Vater wütend ist und ihm zeigen will, daß ihr alles egal ist. Sie weiß, daß die Schmierflecke von Tony sind. Normalerweise wäre sie jetzt verärgert und würde eine Bemerkung darüber machen, was es kostet, Ethel fürs Fensterputzen zu bezahlen, aber heute lacht sie, atemlos, als wäre sie gelaufen.
»Nasenabdrücke, wie von einem Hündchen. Guppy, du bist schon ein drolliges Kind.«
Guppy ist ein Name von vor langer Zeit. Anthea erzählt immer, daß sie Tony sofort nach ihrer Geburt so genannt hat, als sie noch im Brutkasten lag. Anthea kam und sah Tony durch die Glasscheibe an, und Tony machte den Mund auf und zu, aber es kam kein Geräusch heraus. Oder zumindest konnte sie keins hören, sagt Anthea. Sie behielt den Namen bei, weil Tony später, als sie außer Gefahr war und Anthea sie mit nach Hause genommen hatte, kaum weinte; sie machte einfach nur den Mund auf und zu. Anthea erzählt diese Geschichte, als ob sie komisch wäre.
Dieser Spitzname – in Gänsefüßchen eingeschlossen – steht unter Tonys Babyfotos in Antheas Fotoalbum aus weißem Leder, auf dem vorne Mein Baby steht: »›Guppy‹, 18 Monate alt«; »›Guppy‹ und ich«; »›Guppy‹ und ihr Dad«. Nach einer Weile muß Anthea aufgehört haben, Fotos zu machen, oder sie hat aufgehört, sie einzukleben, weil dann nur noch leere Seiten kommen.
Plötzlich hat Tony schreckliche Sehnsucht nach was immer es war, was einst zwischen ihrer Mutter und ihr war, in diesem Fotoalbum; aber sie ist auch böse, weil der Name selbst ein Trick ist. Sie hat immer gedacht, ein Guppy sei etwas Warmes und Weiches, wie ein kleines Hündchen, und sie war gekränkt und beleidigt, als sie herausfand, daß ein Guppy ein Fisch ist.
Deshalb gibt sie ihrer Mutter keine Antwort. Sie sitzt auf der Klavierbank und wartet, was Anthea als nächstes tun wird.
»Ist er da?« sagt sie. Sie muß die Antwort wissen. Tonys Vater würde Tony nie allein im Haus lassen.
»Ja«, sagt Tony. Ihr Vater ist in seinem Arbeitszimmer im hinteren Teil des Hauses. Er ist die ganze Zeit über dort gewesen. Er muß die Stille gehört haben, als Tony nicht spielte. Aber es ist ihm egal, ob Tony ihre Klavierübungen macht oder nicht. Das Klavier, sagt er, ist eine der brillanten Ideen ihrer Mutter.
22
Tonys Mutter macht das Abendessen, wie immer. Sie behält ihr gutes Bridge-Club-Kleid an und zieht nur eine Schürze darüber, ihre beste Schürze, die weiße mit den Rüschen an der Schulter. Sie hat sich die Lippen nachgezogen: ihr Mund glänzt wie ein gewachster Apfel. Tony sitzt auf dem Küchenstuhl und sieht ihr zu; bis Anthea sagt, sie soll aufhören, sie anzustarren, wenn sie sich nützlich machen will, kann sie den Tisch decken. Und dann kann sie gehen und ihren Vater ausbuddeln. Anthea drückt es oft auf diese Weise aus: ausbuddeln , als sei er eine Kartoffel. Manchmal sagt sie auch ausreißen.
Tony hat keinen besonderen Wunsch, sich nützlich zu machen, aber sie ist erleichtert, daß ihre Mutter sich wieder normaler verhält. Sie verteilt die Teller, und dann die Gabeln, Messer und Löffel, links rechts rechts, links rechts rechts. Dann geht sie ins Arbeitszimmer ihres Vaters, nachdem sie zuerst angeklopft hat, und setzt sich im Schneidersitz auf den Boden. Sie darf jederzeit hereinkommen, solange sie sich still verhält.
Ihr Vater arbeitet an seinem Schreibtisch. Er hat die Schreibtischlampe mit dem grünen Schirm eingeschaltet, so daß sein Gesicht einen grünlichen Schimmer hat. Er ist ein großer Mann, mit einer kleinen, ordentlichen Handschrift, die aussieht wie von peniblen Mäusen gemacht. Neben dieser Schrift wirkt Tonys Schrift wie die eines dreifingrigen Riesen. Seine lange, pfeilspitze Nase ist genau auf die Papiere gerichtet, an denen er arbeitet; seine gelblich-grauen Haare sind nach hinten gekämmt, zusammengenommen lassen die Nase und die Haare ihn aussehen, als fliege er durch einen starken Gegenwind, als stürze er sich hinunter auf das Ziel seiner Papiere. Er hat die Stirn gerunzelt, wie in Erwartung des Aufpralls. Tony hat die unbestimmte Ahnung, daß er nicht glücklich ist; aber Glücklichsein ist nichts, was sie bei Männern erwartet. Jedenfalls beklagt er sich nie darüber, daß er es nicht ist; anders
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