Die Räuberbraut
als ihre Mutter.
Sein gelber Bleistift zuckt nervös. Er hat einen ganzen Becher mit solchen Stiften, die er sehr spitz hält, auf seinem Schreibtisch. Manchmal bittet er Tony, sie für ihn zu spitzen; sie dreht sie einen nach dem anderen in dem großen Bürospitzer, der an der Fensterbank festgeschraubt ist und hat dabei jedesmal das Gefühl, seine Pfeile einsatzbereit zu machen. Was er mit diesen Stiften tut, ist ihr ein Rätsel, aber sie weiß, daß es etwas sehr Wichtiges ist. Wichtiger – zum Beispiel – als sie selbst.
Ihr Vater heißt Griff, aber wenn sie an ihn denkt, denkt sie nicht Griff , so wie sie bei ihrer Mutter immer Anthea denkt. Irgendwie ist er mehr wie andere Väter, wohingegen Anthea nicht sehr wie andere Mütter ist, obwohl sie gelegentlich versucht, so zu sein. (Griff ist jedoch nicht ihr Dad. Griff ist kein Dad .)
Griff war im Krieg. Anthea sagt, er mag vielleicht im Krieg gewesen sein, aber er hat ihn, anders als sie, nicht durchgemacht. Das Haus ihrer Eltern in London wurde bei einem Bombenangriff zerstört, und ihre Eltern kamen beide ums Leben. Anthea kam nach Hause – wo war sie gewesen? – das sagt sie nie – und fand nur noch einen Krater, und eine einzige noch stehende Wand, und einen Haufen Geröll; und einen Schuh ihrer Mutter, mit einem Fuß drin.
Griff hatte das alles nicht miterlebt. Er kam erst am D-Day dazu. (Mit dazu war die Gefahr gemeint, das Töten; nicht die Ausbildung, das Warten, das Herumlungern.) Er kam erst für die Landung dazu, den Vormarsch. Den leichten Teil, sagt Anthea. Den Sieg.
Tony sieht ihn gerne so – als Sieger – wie jemand, der bei einem Wettrennen gewinnt. Siegreich. In letzter Zeit ist er nicht besonders siegreich gewesen. Aber Anthea sagt den leichten Teil in Anwesenheit anderer Leute, in Anwesenheit ihrer Freunde, wenn sie auf einen Drink vorbeikommen und Tony sie von der Tür aus beobachtet. Anthea sagt den leichten Teil und sieht Griff dabei direkt an, das Kinn vorgereckt, und er wird rot.
»Ich möchte nicht darüber sprechen«, sagt er.
»Das möchte er nie«, sagt Anthea mit gespielter Verzweiflung und zieht die Schultern hoch. Es ist dieselbe Geste, die sie macht, wenn Tony sich weigert, dem Bridge Club etwas auf dem Klavier vorzuspielen.
»Zum Schluß waren es nur noch Kinder«, sagt Griff. »Kinder in Männeruniformen. Wir haben Kinder getötet.«
»Da habt ihr aber Glück gehabt«, sagt Anthea leichthin. »Das muß es für euch leichter gemacht haben.«
»Hat es nicht«, sagt Tonys Vater. Sie starren einander an, als wäre niemand sonst im Zimmer: verbissen und abschätzend.
»Er hat eine Pistole befreit«, sagt Anthea. »Nicht wahr, Liebling? Sie ist oben in seinem Arbeitszimmer. Ich frage mich immer, ob die Pistole sich befreit fühlt.« Sie lacht ein abfälliges Lachen und wendet sich ab. Ein Schweigen folgt ihr wie eine Heckwelle.
Auf diese Weise haben Anthea und Griff sich kennengelernt – im Krieg, als er in England war. In England stationiert war, sagt Anthea; und Tony stellt sich die beiden auf einer Bahnstation vor, wo sie auf die Abfahrt warten. Es muß eine winterliche Bahnstation gewesen sein; die beiden trugen Mäntel, und ihre Mutter einen Hut, und der Atem verwandelte sich vor ihrem Mund in weißen Nebel. Küßten sie sich, wie im Film? Das ist nicht klar. Vielleicht fuhren sie zusammen mit dem Zug weg, vielleicht auch nicht. Sie hatten eine Menge Koffer. Es gibt immer eine Menge Koffer, in der Geschichte von Tonys Eltern.
»Ich war eine Kriegsbraut«, sagt Anthea; sie lächelt spöttisch über sich selbst, dann seufzt sie. Sie sagt »Kriegsbraut«, als wolle sie sich darüber lustig machen – auf wehmütige, melancholische Weise. Was will sie damit sagen? Daß sie auf einen alten Trick hereingefallen ist, einen alten Schwindel, und es inzwischen weiß und bedauert? Daß Tonys Vater sie auf irgendeine Weise ausgenutzt hat? Daß der Krieg schuld war?
»Und ich war ein Kriegsbräutigam«, sagt ihr Vater; sagte ihr Vater, früher, als er noch Witze machte. Er sagte auch, er habe Anthea in einem Tanzschuppen aufgegabelt. Das gefiel Anthea ganz und gar nicht.
»Griff, sei nicht vulgär«, sagte sie dann.
»Männer waren damals rar«, fügte er, ans Publikum gewandt, hinzu. (Es gab meistens ein Publikum bei diesen Gesprächen. Wenn sie allein waren, sagten sie solche Dinge nur selten.) »Sie mußte nehmen, was sie kriegen konnte.«
An dieser Stelle lachte Anthea immer. »Gute Männer waren rar, und wer
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