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Die Raffkes

Die Raffkes

Titel: Die Raffkes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndorf Jacques
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Seitentür endete. Marko öffnete sie und trat hinaus. Die Luft war mild.

»Das ist meine kleine Welt«, sagte Marko und machte eine weit ausholende Geste mit dem rechten Arm.
»Ich kann nicht mehr Auto fahren, ich kann nicht mehr vögeln, ich kann nicht mehr Süßholz raspeln, aber ich kann Orchideen züchten.« Er wandte sich unvermittelt an Mann:
»Weißt du, was für ein Wort das ist? Orchidee?«

»Keine Ahnung«, lächelte Mann.

»Das ist ein französisches Wort, ist aber abgeleitet von dem griechischen Wort orchis . Das heißt Hoden. Die Blumen sind so benannt, weil ihre Wurzelknollen hodenförmig sind.«
Er öffnete eine leicht quietschende Tür, griff an ein Brett und das sanfte Licht schimmerte nun in einem intensiven Blau.

»Das hier sind rund zwanzigtausend Pflanzen«, erklärte er stolz.
»Ich rede mit ihnen, damit sie gut gestimmt sind und ihre Farben schön werden. In dem anderen Gewächshaus sind weitere vierzigtausend. Ich versuche neue Farben und neue Formen zu züchten. Orchideen sind gutmütige Blumen.«

»Das ist ja überwältigend«, lobte Mann.

»Die Orchidee ist eine der bemerkenswertesten Pflanzen auf der Erde. Es gibt zwanzigtausend Arten in etwa siebenhundertfünfzig Gattungen. Manche können nur mithilfe eines Pilzes leben, einem Mykorrhizapilz. Die Pflanze produziert einen staubfeinen, nährgewebslosen Samen und der kann sich nur in Zusammenarbeit mit diesem Pilz entwickeln. Ein Wunder der Natur, von dem die meisten Menschen keine Ahnung haben.«

»Das ist wirklich wunderschön«, sagte Peter.
»Du ziehst sie in sterilen Flaschen, nicht wahr?«

»Ja, das ist eine dankbare Möglichkeit. Orchideen kann man mit sich selbst oder mit anderen kreuzen, aber niemals wirst du erleben, dass das Ergebnis etwas Gleichförmiges ist. Es entsteht immer eine leicht andere Form und eine etwas andere Farbe. Der liebe Gott muss einen guten Tag gehabt haben. Nun machen wir wieder Nacht, damit sie weiterschlafen können.«

»Wie gelangen die Blumen nach Berlin?«, fragte Mann, während die Intensität des Lichts wieder abnahm und nur der grünlich blaue Schimmer blieb.

»Ich habe einen kleinen Lkw. Den kann ich allerdings nicht mehr selbst fahren, das macht jemand anders für mich.«
So, so, dachte Mann. Sieh an, er ist abhängig von jemandem, der seine Blumen in die große Stadt bringt.
Sie gingen in das Haus zurück und setzten sich wieder an den Chaostisch. Marko schenkte erneut Wodka ein.

»Für mich, bitte, nicht mehr«, sagte Mann.
»Ich vertrag das Zeug nicht.«

»Das ist l’eau de vie, das Wasser des Lebens«, protestierte der Alte.
»Kein Zeug. Nenne Wodka Zeug und du bist in Russland ein toter Mann.«
Ich riskier es, weiter zu fragen, dachte Mann verkrampft. Sonst sitzen wir hier noch, wenn der Tag graut.
»Also, jemand fährt für dich die Blumen nach Berlin. Gibt es noch mehr Leute, die dir helfen?«

»Klar. Ich bin so alt, wie ich bin. Da geht alles nur noch sehr langsam. Ich kann nicht mal mehr kleine Paletten tragen. Neben dem Fahrer, der den Lkw fährt, habe ich zurzeit noch zwei Abiturientinnen und einen Praktikanten. Und dann sind da noch ein paar Frauen, die kommen, wenn besondere Sachen zu tun sind. Zum Beispiel Pflanzen einpacken und den Lkw beladen.« Er lächelte freundlich und murmelte:
»Kinder, es ist so beschissen, dass der Mensch sterben muss. Ich habe keine Angst davor, aber ich würde diese Welt gerne noch ein wenig erleben.«

»Du wolltest uns eine Geschichte erzählen«, sagte Mann leise.
»Sei mir nicht böse, aber uns läuft die Zeit davon.«
Marko wurde nachdenklich. Schließlich nickte er.
»Na gut. Es ist keine schöne Geschichte, aber eine menschliche. Und leider bin ich das Opfer, das ist eine schlechte Rolle. Ich würde gern als strahlender Sieger vom Platz gehen. Jetzt krieche ich geschlagen vom Feld. Das ist gar nicht gut.« Er drehte sich wieder eine Zigarette.

»Es begann vor fünf Jahren. Ein gewisser Johann Hirtenmaier, ein Österreicher, kam in diese Gegend. Er ist fett und hat ein rotes Gesicht, ungefähr fünfzig Jahre alt. Er zog also hierher, in ein Dorf namens Nachensee. Das liegt jenseits der Autobahn. Er gründete einen Bier-und Getränkevertrieb. Den besitzt er heute noch. Mit der Zeit beschickte er auch Bars und illegale Puffs. Und wenn ihm ein Betrieb interessant schien, übernahm er ihn. Das ging brutal zu, sehr brutal. Dabei tut er so – wie sagt ihr auf Deutsch? – leutselig, ja, ein schönes Wort. Er ist stinkfreundlich und kriecht

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