Die Raffkes
hätte identifizieren können. Auch seine Fingerabdrücke ergaben nichts, der Mann war bis dahin polizeilich nicht aufgefallen. Und niemand schien ihn zu vermissen. Ein wenig verwundert war mein Kollege wegen des Stricks, an dem sich der junge Mann aufgehängt hatte. Es war ein Henkerstrick, eine Hanfschnur, gewendelt, unten die Schlinge. Aber es gab keine Anzeichen von Gewalteinwirkung und bei der Autopsie konnten keine Gifte oder Drogen nachgewiesen werden. Schließlich lautete das Ergebnis der Ermittlungen: Selbstmord durch Erhängen. Bis zum November blieb der Mann als unbekannter Toter mit der Nummer 207/901 im Leichenschauhaus.
Das Ganze ist – vorsichtig formuliert – ein absolutes Armutszeugnis für die Zusammenarbeit von Ermittlern. Denn der Tote war der Polizei und auch der Staatsanwaltschaft keineswegs unbekannt. Er wurde schon etwa drei Monate vor seinem Tod als wichtiger Zeuge von der Sonderkommission Bankgesellschaft Berlin gesucht. Seine Identität wurde aber nur dadurch gelüftet, dass Bennys Vater, denn der Tote war Benny, in Hamburg eine Vermisstenmeldung aufgab.
Benny wurde 1968 in Hamburg geboren und war von Beruf Systemadministrator bei Terracota . Benny war mit Leib und Seele ein Computerfreak, der bei Meier und Meier an alle Daten kam, natürlich auch an die wichtigen.
Als der Chef der Soko Bankgesellschaft von Bennys Tod hörte, witterte er jedenfalls Mord und gab den Vorgang mit dem Verdacht auf ein Kapitalverbrechen an einen Kollegen weiter.« Ziemann machte eine Pause, goss ihnen erneut Schnaps ein und murmelte: »Bennys Geschichte drückt mich immer wieder nieder. Sie ist einfach widerlich traurig. Prost!«
»Sie haben es versaut, nicht wahr?«, fragte Mann leise.
»Sie haben es unglaublich versaut«, nickte Ziemann.
»Ich glaube, ich habe davon gehört. Es war damals Krach im Haus, aber keiner wusste genau, worum es ging.«
»Es wurde natürlich eine erneute Autopsie angesetzt. Aber die brachte nun absolut nichts mehr, denn von dem toten Benny war inzwischen nichts mehr übrig, außer ein paar winzigen Gewebeschnitten. Nun, Benny hatte also zu Lebzeiten Zugriff gehabt auf alles, was in dieser gottverdammten Firma wichtig war. Und er hatte im Juli und August vor seinem Tod häufig bei der Bank angerufen. Er hatte ihnen – nun höre und staune – belastendes Material über die dubiosen Geschäftspraktiken seiner Chefs angeboten.«
»Er wollte die Bank erpressen«, nickte Mann. »Wie dumm!«
»Richtig. Im Frühjahr schon hatte die Firma Terracota Insolvenz anmelden müssen, die vielen Millionen waren irgendwie verdampft, die Sonderermittler waren wegen Betruges und Untreue der beiden Meiers unterwegs. Übrigens, das sei nur am Rande erwähnt, um das Klima zu veranschaulichen, in dem die Meiers agierten, zu dem honorigen Beirat ihrer Firma gehörten so ehrenwerte Männer wie ein Expostminister und ein Exverkehrsminister. Und ab und zu schickten die Meiers vierstellige Summen an die Bundestagsfraktion der CDU, alles kein Problem, man kennt sich ja. Aber zurück zu Benny. Benny hatte heimlich die Daten, die brisante und wohl auch betrügerische Finanztransaktionen seiner Chefs belegten, kopiert und deren gesamte E-Mail-Korrespondenz heruntergeladen. Nun hatte er eine Tasche voller Material und rief einen Rechtsanwalt an, der in der Bank von Ulf Blandin arbeitet. Benny war wahrhaft bescheiden, er forderte nur eine halbe Million Euro. Weißt du, das macht die Geschichte des kleinen Benny so tragisch: Da wittert ein kleiner Mensch eine Riesensauerei. Und er weiß: Wenn ich die Beweise verscherbele, brauche ich vielleicht ein paar Jahre nicht zu arbeiten. Ich kann sechs Monate Sonnenschein haben oder nach Nepal zu den Göttern der Berge fliegen. Und wo landet er? Im Jagen 59 des Berliner Grunewaldes als Selbstmörder.«
»Wieso Selbstmörder? Du hast doch eben gesagt, nun wurde wegen Verdachts auf Mord ermittelt?«
»Ja, warte. Hör dir die Geschichte erst mal zu Ende an. Der Anwalt der Bank kapierte natürlich sofort, was Benny da aufblätterte. Und er rief Blandin an, der ihm zu verstehen gab, dass er diesen Benny nicht mehr aus den Augen lassen, dass er die Verbindung halten sollte. Es kam zu einem Treffen, bei dem Benny behauptete, er habe noch mehr Material als nur das gezeigte. Der Anwalt sicherte ihm Vertraulichkeit zu. Doch nicht alle in der Bank wussten von dieser Zusicherung auf Vertraulichkeit und einer informierte den Oberstaatsanwalt, der die Sonderermittler führte. Und die
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