Die Ranch
aufrichtig liebt.«
Zögernd nickte Mary Stuart. Wie gern würde sie das glauben. Erst einmal musste sie ihr altes Leben hinter sich lassen, und ihr graute davor, ein klärendes Gespräch mit Bill zu führen, ihre Sachen zu packen und Alyssa über die Scheidung zu informieren. Das alles war so schwierig … Wie konnte sie da an einen Mann denken? Sie saß zwar im selben Boot wie Tanya, führte aber ein ganz anderes Leben, und darauf wies sie die Freundin hin.
»Machst du Witze?«, rief Tanya. »Seit Tony da vonrannte, hatte ich kein einziges Rendezvous. Alle Männer fürchten sich vor mir, keiner will mit mir ausgehen – nur irgend so ein verdammter Friseur, der sich mit mir zeigen möchte. Ich bin wie der Mount Everest. Da will niemand wohnen, aber jeder versucht raufzusteigen.«
Alle drei lachten, und Mary Stuart wusste nicht recht, ob sie sich besser oder schlechter fühlte. Wenn sie über ihre Zukunftspläne sprach, klang es so endgültig. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie würde Bill verraten, der noch nichts von ihren Absichten wusste. Ihr Entschluss stand zwar fest, doch sie würde die Zeit bis zu seiner Heimkehr nutzen, um noch einmal gründlich über alles nachzudenken.
An diesem Abend saßen sie noch lange beisammen und redeten. Kein einziges Problem war gelöst, aber die alte Freundschaft wiederhergestellt, und von der Abreise am nächsten Morgen sprachen sie nicht mehr. Zoes Entschuldigung bedeutete Mary Stuart sehr viel, und Zoe war tief betroffen, wie Mary Stuart jahrelang unter den Vorwürfen gelitten hatte, dass sie für Ellies Selbstmord verantwortlich wäre. Vor allem, da sich auch ihr Sohn das Leben genommen hatte. Wie grausam das Schicksal manchmal zuschlug …
Um sechs Uhr morgens läutete das Telefon, und Zoe nahm in ihrem Zimmer den Hörer ab. Sie war es gewöhnt, zu jeder Tages- und Nachtzeit angerufen zu werden. »Hallo?«
»Zoe?«, meldete sich Sam. Sofort dachte sie an Jade und geriet in Panik. Eine Blinddarmentzündung? Ein Unfall? Ein Erdbeben?
»Wie geht's Jade?«, würgte sie mühsam hervor. So als hätte sie das Kind selbst geboren, regten sich alle natürlichen Mutterinstinkte in ihrem Herzen. »Gut. Tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe. Aber ich dachte, du müsstest es wissen.« Diese traurige Neuigkeit teilte er ihr nur ungern mit. Aber sie würde ihm niemals verzeihen, wenn er's versäumte. »Vor einer Stunde ist Quinn Morrison gestorben. Er schlief friedlich ein, und seine Familie war bei ihm. Obwohl ich mein Bestes tat – sein Herz blieb einfach stehen.«
In gewisser Weise war es eine Gnade, das wusste Zoe. Trotzdem stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie trauerte um alle ihre Patienten, besonders um die Kinder. Wenigstens hatte Quinn Morrison mit seinen vierundsiebzig Jahren ein erfülltes Leben gehabt, und nur die letzten Monate waren von seiner Aidserkrankung zerstört worden. Wie auch immer, Zoe war erschüttert. Jedes Mal, wenn ein Patient starb, glaubte sie, eine schmerzliche Niederlage zu erleiden.
»Bist du okay?«, fragte Sam besorgt.
»Ja – ich fühle mich nur elend, weil ich nicht bei ihm war.«
»Das wusste ich. Deshalb rufe ich dich an. Er sagte mir, er sei froh, weil du endlich Urlaub machst.«
Zoe lächelte wehmütig. In diesem letzten Jahr hatte Quinn Morrison ihr immer wieder erklärt, sie müsste heiraten und Kinder bekommen. »Und die anderen?«
»Bevor ich zu Quinn fuhr, verbrachte ich einige Stunden in Peter Williams' Haus. Er hatte eine schlimme Nacht. Schon wieder eine Lungenentzündung. Heute Morgen lasse ich ihn in die Klinik bringen.« Allzu lange würde der einunddreißigjährige Peter nicht mehr leben. Dieser Fall ging Zoe besonders nahe, weil der Patient noch so jung war.
»Offenbar hast du alle Hände voll zu tun.«
»Wie üblich«, erwiderte Sam. Es gefiel ihm so, deshalb hatte er Medizin studiert. »Und du? Amüsierst du dich? Hast du schon ein paar Cowboys kennen gelernt?«
»Nur einen – ein halbes Kind aus Mississippi, das mich vom Flughafen abgeholt hat. Übrigens, die Ranch ist fabelhaft.«
»Wie geht's deiner Freundin?«
»Sehr gut. Sie hat mich überrascht und noch eine Zimmerkameradin aus Berkeley mitgebracht. O Gott, das ist eine lange Geschichte … Jedenfalls habe ich über zwanzig Jahre kein Wort mit dieser Frau gesprochen, und bei meinem Anblick erklärte sie, am nächsten Morgen würde sie nach New York zurückfliegen. Aber gestern Abend schlossen wir Frieden. Damals, vor zwanzig Jahren, war ich wirklich
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