Die Rastlosen (German Edition)
wies auf einen Stuhl. Er zündete sich trotzdem eine an. Richard hätte ihn von Wachleuten aus seinem Büro werfen lassen können, verzichtete aber darauf. Diese Zurückhaltung schien ihm auf den Magen zu schlagen – zumindest nach der Vielzahl von zerknüllten 40-mg-Inipomp ® -Packungen zu urteilen, die seinen Weg säumten.
Dieses Mal wurde jedoch schnell offenbar, dass die Vorladung nicht darauf abzielte, ihn seine wunderbare Vormachtstellung spüren zu lassen. »Wer ist eigentlich diese Frau?«, fragte Richard. »Diese Rothaarige aus der Cafeteria.«
»Diese Rothaarige? Sie würden sie als rothaarig bezeichnen? Das ist die Stiefmutter von Barbara. Barbara ist die vermisste Studentin.«
»Ich weiß, wer Barbara ist. Ich glaube, ich weiß hier über alles Bescheid, mein Lieber. Nun gut. Was will sie? Sagen Sie mir, was sie will…«
»Ihr Mann ist in Afghanistan im Einsatz. Wir haben da Soldaten hingeschickt. Die Taliban haben wieder Oberwasser.«
»Sehr gut. Hören Sie, hören Sie mir gut zu. Ich fordere Sie nachdrücklich dazu auf, bei dieser Frau Distanz zu wahren. Wir müssen auf der Hut sein. Sie machen sich keine Vorstellung, wie viele Schwierigkeiten uns eine Mutter oder selbst eine Stiefmutter bereiten kann. Es reicht, dass sie einen hysterischen Anfall bekommt oder einen Aufstand macht, und schon geht es mit unserem Rating rapide in den Keller. Sie wissen, was das für die Anmeldungen bedeutet. In der gegenwärtigen Lage wäre das nicht gerade erstrebenswert, scheint mir. Wir müssen alle darum kämpfen, unsere Arbeitsbedingungen zu erhalten.«
»Ja, dessen bin ich mir voll und ganz bewusst. Aber verstehen wir uns richtig, Richard – was dichten Sie mir für einen Ruf an? Also wirklich, da übertreiben Sie.«
»Hören Sie, Marc, Sie sind ein Charmeur. Sie sind nichts weiter als ein verdammter Charmeur. Das können Sie nicht abstreiten.«
Sie sahen sich an. Er zuckte mit den Schultern und drückte seine Zigarette aus. Man konnte im Leben eben nicht alles haben. Gewiss, die Einkünfte eines Fachbereichsleiters waren erfreulicher als seine und der Einfluss, den dieser Posten mit sich brachte, bestimmt von Vorteil, vor allem in diesen unsicheren Zeiten, aber den Frauen zu gefallen, einer Witwe, einer Studentin oder auch einer Hausfrau den Kopf zu verdrehen, die Gabe zu besitzen, bei diesen verdammten Frauen gut anzukommen, bevor man überhaupt den Mund aufgemacht hatte, ohne dass man die leiseste Anstrengung unternommen hatte, sagte er sich, das gab zu denken.
Er hätte nicht mit Richard tauschen wollen. Es hatte keinen Sinn, stundenlang darüber nachzugrübeln. Vor ungefähr zehn Jahren hatte sich sein Leben verändert. Seit dem Tag, an dem er durchschaut hatte, wie einfach diese angeblich so schwierige Sache war, hatte sein Leben eine Kehrtwende genommen. Die Dinge waren ihm in einem anderen Licht erschienen. Was war das für eine Erleichterung gewesen. Eigentlich eine zweite Geburt.
Daraus zu folgern, er würde sein Beuteschema ganz selbstverständlich auf Mütter und weitere Anverwandte der Studenten erweitern, war ein etwas voreiliger Schluss von Richard. Aber seine Meinung zählte nicht viel. Er hätte sicherlich nicht mit Richard Olso tauschen wollen, der durch die ewigen Zurückweisungen verbittert war.
»Die umschwärmen Sie wie Motten das Licht, stimmt’s?«, wieherte Richard. »Das können Sie nicht abstreiten. Sie verführen sie doch im Dutzend, oder?«
Es herrschte sonniges Frühlingswetter, kalt und klar, und die Landschaft hinter dem großen Fenster – die riesigen Tannen, der glitzernde See, der letzte Schnee auf den Höhen – rief eher den Wunsch nach stiller Betrachtung hervor als nach einem Streit mit seinem Fachbereichsleiter, die filigranen Yachten jagten über die silberglänzende Fläche, und dann die Möwen und die Sportboote.
»Richard«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln. »Wissen Sie was, Richard? Demnächst werde ich Sie wegen übler Nachrede vor Gericht zerren. Dann wäre das vom Tisch.«
»Was?«, gluckste sein Gegenüber und stellte sich fassungslos. »Das sind doch keine Hirngespinste. Sagen Sie bloß nicht, das sei nicht wahr.«
Es war Zeit für eine weitere Zigarette. Manchmal hätte er sich für eine Winston auf dem Boden gewälzt.
»Gedulden Sie sich«, wies ihn Richard zurecht. »Eine Minute noch, dann können Sie gehen. Bitte.«
Er lenkte ein, schob seine Packung wieder in die Tasche. Ein paar Minuten hielt er es noch aus. Einen neuen Job zu
Weitere Kostenlose Bücher