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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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die Unterlagen, die sie zackig durchblätterte und abzeichnete.
    »Ich bin Richard begegnet«, erklärte er. »Keine Ahnung, was dieser Idiot im Wald getrieben hat, aber ich bin ihm dort begegnet. Scheint fast so, als würde er mir folgen, mich überwachen.«
    »Meinst du? Warum sollte er?«
    »Was weiß ich? Vielleicht will er mich feuern lassen? Vielleicht möchte er mich bei irgendetwas ertappen? Ich weiß nicht, ob ich das noch lange aushalte. Wir wissen ja, dass sie Stellen streichen wollen, Leute entlassen, das ist bekanntlich kein Geheimnis. Warum sollte es auf diesem Scheißcampus anders sein als überall sonst? Pardon. Entschuldige die Ausdrucksweise. Aber du weißt, was ich meine. Der Präsident, den wir seit letztem Jahr haben, Martinelli, diese kleine Tunte, sagt zu allem Ja und Amen, was von Richard kommt. Schon gut, entschuldige die Ausdrucksweise. Aber so ist es doch. Richard könnte mich ohne weiteres über die Klinge springen lassen. Er macht es nur nicht, weil du da bist. So einfach ist das. Ich mache mir da nichts vor.«
    Er verzog das Gesicht, die Luft war beißend. »Ich weiß, dass du mich gehört hast. Tu nicht so, als hättest du mich nicht gehört.«
    »Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«, fragte sie, ohne aufzublicken. »Für solche Sachen fühle ich mich nicht zuständig.«
    Er lachte höhnisch auf. »Ich bitte dich – überanstreng dich nicht«, sagte er.
    Sie seufzte. »Also wirklich, machst du dich über mich lustig?«, erwiderte sie und legte ihren Stift zur Seite. »Wie wär’s, reden wir doch mal über deine Spielchen. Glaubst du, ich bin blind und taub?«
    Er ließ kurz den Blick auf ihr ruhen. Sie hatte langes, dichtes schwarzes Haar, glänzende Augen, einen entschlossenen Blick, blasse Lippen – man brauchte nicht zu glauben, dass man gegen sie ankam. Vor ein paar Stunden hatte er das Handgelenk von Barbaras Mutter gehalten, ein überaus schmales und weißes Handgelenk, und unpassenderweise lief diese Szene erneut vor seinem inneren Auge ab und ließ ihn den Faden verlieren – so unvermeidbar wie der Fehltritt, der einen in den Abgrund stürzte.
    Marianne hatte sich unterdessen wieder in ihre Geschäftsbücher vertieft. Sie saß unter einer Myrrhewolke, die aus einer Handvoll Räucherstäbchen in einer Sandschale hervorquoll und nahe der Zimmerdecke entlangkroch. »Ich weiß, was ich tue«, erklärte sie. »Ich habe meine Gründe.«
    Früher war er mit ihr hinausgegangen, um ihr zu zeigen, dass kein böser Geist über dem Haus schwebte, aber heute war er es leid. Marianne war kein Kind mehr.
    Er war nicht der Einzige, der das bemerkt hatte. Richard war zwei Jahre zuvor an die Universität berufen worden und verfolgte seitdem nur ein Ziel: Er wollte Mariannes Geliebter werden, sie erobern, und nun scharwenzelte er ständig um sie herum. Auf seine erbärmliche Art.
    Die umworbene Marianne blieb aber anscheinend standhaft. Zumindest, soweit er das beurteilen konnte. Im Zweifelsfall für den Angeklagten. Man musste nicht sonderlich hellsichtig sein, um zu erkennen, dass dieser Typ nichts taugte, aber Frauen reagierten manchmal völlig unverständlich und inkonsequent – davor musste man sich in Acht nehmen.
    Er wechselte das Thema, denn diese Angelegenheit sorgte regelmäßig für explosive Stimmung, und erzählte von der Unterredung mit dem Polizisten, der weiterhin wegen dieser auf mysteriöse Art verschwundenen Studentin ermittelte.
    »Weißt du, ich glaube wirklich, die Polizei kommt nicht voran. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Scheint so, als hätte sich diese Barbara, wie soll ich sagen, in Luft aufgelöst.«
    Sie sah zu ihm auf. Er hielt ihrem Blick stand. In den achtundvierzig Stunden nach dem Tod der Studentin war er ziemlich angespannt gewesen, aber nun ging es ihm wieder besser. Er hatte sich beruhigt, hatte jeden Gesichtsmuskel unter Kontrolle und verschanzte sich mühelos hinter einer unerschütterlichen Maske, sobald die Situation es verlangte. »Glaub mir, auf diese Art Publicity hätten wir gerne verzichtet«, fuhr er fort. »Das ist nicht gut für unser Image. Da wäre es noch besser gewesen, wenn ein Orkan den Campus verwüstet hätte.«
    Sie packte ihre Sachen zusammen. Sie hatte einen Termin mit Martinelli und würde versuchen, mehr über dieses Gerücht der Stellenstreichungen zu erfahren – wenn er sich dann bitte mal verdünnisieren würde, damit sie sich zurechtmachen könne. Er folgte ihr dennoch bis zu ihrem Schlafzimmer, blieb aber in der Tür

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