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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Flughafens, daran schloss sich die völlige Finsternis der Zuckerrübenfelder und schließlich der Schattenriss der Berge vor dem nächtlichen Himmel, ihre weißen, noch vereisten Nasen. Er zündete sich eine Zigarette an. Eine Mischung aus frischer Gebirgsluft und Nikotin, die man sich kurz nach Einbruch der Dunkelheit zuführte, war das höchste der Gefühle – wie prächtig die Maschine doch manchmal war, in der wir steckten, sagte er sich dann.
    Zum Glück war Marianne auch Raucherin. Der Geruch von kaltem Rauch störte sie beide nicht, wenn sie in diesem Haus aufwachten, in dem auch noch der entlegenste Winkel von Nikotinpartikeln durchtränkt war – vor allem im Winter, denn sie rissen sich nicht darum, das Fenster aufzumachen und zu lüften, und schon gar nicht in den letzten beiden Wintern, aus Gründen der Sparsamkeit. Bald würde Heizen ein unerschwinglicher Luxus sein. Die einzige Schwierigkeit war, dass sie dunklen Tabak bevorzugte. Jede Rauchwolke, die sie ausblies, hatte die Form und Dichte eines dicken, glatt gestrichenen Kissens und brauchte Stunden, bis sie sich auflöste, aber er wollte diesbezüglich kein Spielverderber sein, sich nicht als engstirnig oder kleinlich erweisen. Sie verpesteten alle beide die Luft im Haus. Zu gleichen Anteilen.
    Er lud sich das Scheit auf die Schulter und achtete dabei auf seinen Hexenschuss – ein Leiden, das Männer über fünfzig gern befiel und noch den rüstigsten unter ihnen in eine ehrwürdige Mumie verwandeln konnte. Am Tag nachdem er Barbara zu ihrer letzten Ruhestätte getragen hatte, waren erste Warnsignale zu spüren gewesen, einige schmerzhafte Pfeile hatten sich ihm in den Rücken gebohrt – zunächst, als er morgens aufgestanden war und den Fuß auf den Boden gesetzt hatte, ein zweites Mal während der Autofahrt zum Campus, dann als er an die Tafel schrieb, und noch einmal am Abend, als er sich die Waschmaschine ansehen wollte, die den Dienst verweigerte. Er hatte leise aufgeschrien, als er den Kopf aus der Trommel zog.
    Er ging zurück ins Haus, klopfte sich die Füße ab. Marianne hatte ihre Brille aufgesetzt und sich mit einer Zigarette im Mund in ihre Schreibarbeiten vertieft. Er richtete das Feuer unter dem Scheit. Er drehte sich um und wärmte seinen Rücken an den Flammen. Das feuchte, drei Minuten in der Mikrowelle erhitzte Geschirrtuch war sicherlich die bessere Medizin, aber er brauchte es noch nicht, das Übel drohte, war aber noch nicht über ihn hereingebrochen – Voltaren ® , Dextropropoxyphen ® und Tetrazepam ® hießen seine drei Götzen, wenn es ernst wurde. Und auch Chardonnay.
    Er fühlte sich hinreichend durchgegart und wollte gerade zur Treppe gehen, die zu seinem Wohnbereich hinaufführte, als sie zu ihm aufsah. Oft schnappte sie ihn, wenn er sich davonmachen wollte. Sie war nicht immer so gewesen, aber mit zunehmendem Alter wurden wir alle nicht einfacher.
    Sie machte ein verwundertes Gesicht. »Gibst du mir keinen Kuss?«, fragte sie.
    Er ging zurück und beugte sich zu ihr hinunter. Sie hatte keinen besseren Vorwand gefunden, um zu kontrollieren, ob er nicht eigenartig roch, nach einem Parfüm etwa, das ihn augenblicklich verraten hätte, aber er tat so, als würde er nicht merken, wie sie ihn unauffällig beschnüffelte.
    Hatte sich jemals auch nur ein einziger ihrer Zweifel ihm gegenüber bewahrheitet? Hatte sie ihn schon einmal auf frischer Tat ertappt? Er hatte gelernt, Diskretion zu wahren. Er achtete auch sehr darauf, sich nicht an seinen diversen Erfolgen zu berauschen, und blieb äußerst wachsam. Sein letztes Abenteuer war der Beweis dafür. Es gab keine Möglichkeit, die Sache bis zu ihm zurückzuverfolgen, denn er hatte bis zum Schluss äußerste Vorsicht walten lassen, und das zahlte sich jetzt aus. Es gab keine Möglichkeit, die Sache bis zu ihm zurückzuverfolgen. Im Grunde gab es nichts Einfacheres, als eine strenge Disziplin zu wahren, ein paar grundlegende Regeln zu befolgen. Niemand wollte Ärger haben oder Opfer eines Irrtums werden. Er hatte das einzig Vernünftige getan und war sich keiner Schuld bewusst. Er bereute nichts. Selbst bei einer schonungslosen Analyse der Situation. Er hatte instinktiv richtig reagiert. Nichts hatte jemals einen Toten wieder zum Leben erweckt. Oder eine Tote, wie in diesem Fall.
    Ab und zu grollte der Wind im Kamin wie ein Hund voller Flöhe, und die Scheiben zitterten leicht. Er küsste sie auf die Schläfe. Sie erstarrte drei Sekunden lang, ihr Stift schwebte reglos

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