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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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erzählen. Es ist alles eine Sache des Rhythmus, des Tons, der Klangfarbe. Nehmt euch ein Beispiel an eurer Kollegin. Verrennt euch nicht! Seid vor allem gute Maler und gute Musiker.‹ Leider haben solche Predigten auf die Studenten eine einschläfernde Wirkung.«
    Er sah ihr zu, wie sie den ersten Löffel zum Mund führte. Sie zögerte.
    »Sie denken bestimmt: ›Hat diese Frau denn nichts anderes zu tun?‹ Sie denken bestimmt: ›Was bringt ihr das?‹ Ich wüsste nicht, was ich darauf antworten sollte.«
    Er war versucht, sie erneut am Handgelenk zu fassen, um sicherzugehen, dass tatsächlich diese sanfte, absolut erstaunliche elektrisierende Wirkung von ihr ausging, die sich bis in seine Schulter übertrug, sobald er sie nur mit einem Finger berührte.
    »Ich glaube, ich fühle mich ein bisschen einsam«, seufzte sie schließlich. »Sie finden mich sicher unerträglich.«
    »Aber sagen Sie mal, wie konnten Sie denn nur einen Leutnant heiraten? Einen Leutnant! Die Welt versinkt im Chaos, oder? Ich würde im Moment keine militärische Laufbahn einschlagen. Auf keinen Fall. Auch nicht, wenn ich zwanzig wäre. Dann erst recht nicht. Andererseits ist das ein sicherer Arbeitsplatz, das muss ich zugeben. Und das ist viel wert. Das wissen wir alle. Man braucht nur zu sehen, in was für einem Zustand die Autoindustrie ist. Oder unser Rentensystem.«
    »Manchmal führe ich schon Selbstgespräche. Sonst lasse ich das Radio laufen. Wissen Sie, dass die Gesichtszüge meines Mannes allmählich in meiner Erinnerung verblassen? Können Sie sich so etwas vorstellen? Ist das denn zu glauben? Ich denke, Barbara hat das verhindert. Dass er gänzlich aus meinem Gedächtnis getilgt wurde. Sie war die Verbindung.«
    *
     
    Man konnte nicht einen Soldaten heiraten und sich dann beschweren, dass der Kerl nicht zu festen Uhrzeiten nach Hause kam. Diese Ansicht vertrat Marianne, während die Sonne unterging und das Licht über dem See erzitterte. Sie räumten den Tisch ab. Sie hatten früh zu Abend gegessen, weil Marianne noch arbeiten wollte. Sie machten sich an den Abwasch. Sie spülte, und er trocknete ab. Danach gingen sie ins Wohnzimmer, um die Flasche Chardonnay auszutrinken. Sie steckte neue Räucherstäbchen in die Schale.
    »Alle haben gesehen, wie ihr gemeinsam in der Cafeteria gesessen seid.«
    »Natürlich. Wir haben ja auch nicht versucht, uns zu verstecken.«
    Bevor sie sich setzte, schüttelte sie einige Sofakissen auf. Mit ziemlich energischen Schlägen. Dann streckte sie die Hand aus. Er brachte ihr das Weinglas. Er hatte ihr von seiner Begegnung mit Myriam erzählt und währenddessen im Kamin ein Feuer gemacht, jetzt knisterten die Flammen.
    »Was willst du mir damit sagen?«, seufzte er, als er sich neben ihr niederließ. »Ich kann mit keiner Frau mehr sprechen, ohne dass du dir weiß Gott was ausmalst. Findest du das nicht ein bisschen übertrieben?«
    Sie antwortete nicht, sondern streckte ihm ihre Füße hin. Sie sei seit dem frühen Morgen auf den Beinen, meinte sie, und ihre Knöchel seien geschwollen – die Fußbodenheizung tue ihnen nicht gut. Er massierte ihr die Fesseln. Als er spürte, wie sie sich entspannte, machte er sie darauf aufmerksam, dass das Schicksal dieser Frau nicht eben beneidenswert sei. »Es wundert mich nicht, dass sie jemand zum Reden sucht. Das überrascht mich kein bisschen. Sie ist ganz offensichtlich durcheinander, aber sie will nichts Bestimmtes, sie will einfach über Barbara reden, mehr nicht. Ich kann mir vorstellen, dass ihr das guttut. Einfach darüber zu reden. Nichts weiter. Hätte ich sie abwimmeln sollen? Ihr den Rücken zukehren? Wer hätte das übers Herz gebracht? Versetz dich mal in meine Lage.«
    Wenn er sich um ihre angeschwollenen Knöchel kümmerte, widersprach sie ihm selten. Sie schloss die Augen, und ihre Gesichtszüge wurden merklich weicher, sie war kaum wiederzuerkennen – das zeigte, wie düster und angespannt sie meistens wirkte. Im Augenblick schwebte sie. Sie gab sich ganz ihrem Wohlgefühl hin. So dass sie im Moment nicht unbedingt Streit mit ihm suchte und sich ganz seinen Fertigkeiten überließ – dafür hatte er wirklich ein Händchen. Draußen wehte der Wind in der silbrigen Dunkelheit, und die Sterne glitzerten auf dem See.
    Er ging hinaus, um ein Holzscheit zu holen. Erschauerte. Sog die kalte Luft ein. Tief. In der Ferne und etwas weiter unten konnte man westlich der Stadt die Lichter des Campus erkennen und auf der Schweizer Seite die des

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