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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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und ganz bewusst, aber stellen Sie sich vor, Sie stünden am Scheideweg, versetzen Sie sich eine Sekunde in meine Lage.« Sie hingen beide mit den Ellbogen am Beckenrand, unentschieden im Wasser treibend, und beobachteten sich eine Weile mit feuchtem Haar und reglosen Mienen, dazu nur leises Plätschern und die Vogelrufe aus dem Wald. Dann streckte sie ihr Bein aus wie ein Federgelenk und tat so, als wolle sie ihn wegstoßen oder ihm zur Strafe einen Schlag versetzen, aber recht sachte und ohne besonderen Nachdruck. Mit einer Grimasse, einem mürrischen Gesicht. Dann fing sie wieder damit an. Ohne dass ihm das viel ausgemacht hätte. Es schien, als wolle sie eine Art Kampf mit ihm austragen oder sich zumindest heftig an ihm reiben.
    Selbstverständlich war sie enttäuscht. Das Wort stand ihr ins Gesicht geschrieben. Aber sie erwies sich als vernünftiger, als er erwartet hatte, und am Ende beruhigte sie sich und erhob die Hand nicht mehr gegen ihn.
    Flauschige, sorgfältig zusammengelegte weiße Bademäntel lagen bereit. Kaum war er hineingeschlüpft, stürzte er sich auf seine Zigaretten – der erste Zug in der Abenddämmerung konnte einem Kenner höchsten Genuss bereiten. Er griff wieder nach seinem Cocktail und winkte Annie, die am Beckenrand entlangschwamm, freundschaftlich zu. Das alles wurde nun recht entspannt und angenehm. Die Luft begann nach dem sommerlichen Wald und dem See zu duften, der Himmel verdunkelte sich. Annie erschien ihm plötzlich viel weniger furchterregend. Wenn sie es wirklich wollte und ein Minimum an Arbeit hineinsteckte, konnte er sie auf das Niveau der heutigen Durchschnittsproduktion heben – so weit, dass sie mit Verlagen lukrative Verträge abschließen und sogar ein paar Preise und transkontinentale Übersetzungen abgreifen konnte. Es war nicht besonders schwer, die Spielregeln zu beachten – gab es nicht unsägliche Schreiberlinge, aalglatte Typen, die die höchsten Stufen erklommen? Sie wäre nicht die Schlechteste, wenn er ihr die richtigen Autoren zu lesen gäbe, sie viel schreiben ließe und sie die Kunst der Provokation lehrte.
    »Afghanistan wird zu einem neuen Vietnam, da sind sich alle einig. Wie dem auch sei, sie hat seit Monaten nichts mehr von ihm gehört. Tja. Meiner Ansicht nach wird er nicht so schnell wiederkommen. Wir verlieren dort bestimmt mehr Männer, als man in der Öffentlichkeit zugeben will. Nachts eiskalt, tagsüber glühend heiß. Dieses Scheißland ist eine Mausefalle. Mich würde es wundern, wenn der wieder auftauchte, ganz ehrlich.«
    Sie verzog das Gesicht, dann schwamm sie einige Bahnen in der Abendluft.
    Anschließend half er ihr aus dem Pool, reichte ihr bereitwillig die Hand, und als er sie hochzog, offensichtlich zufrieden mit seinem Fang, machte er eine Bewegung, die im Bereich seines letzten Wirbels einen so heftigen Schmerz auslöste, dass er einen Augenblick perplex war. Er erstarrte im Mondschein, völlig hilflos. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er kniff sie zusammen und rettete sich leicht panisch auf die nächste Luftmatratze, als hätte er einen akuten Anfall von Starrkrampf.
    Er erklärte ihr flüsternd, dass sein Steißbein völlig zertrümmert sei und er einige Minuten stillhalten müsse, bevor er das Geringste tun könne, und sei es auch nur, den kleinen Finger zu rühren. »Da ist nichts zu machen, tut mir leid, außer Sie haben etwas sehr Starkes«, seufzte er, während sein Herz noch raste. Sie kam gleich darauf mit rosa Tabletten zurück, die er widerstandslos schluckte, denn selbst der Tod war nichts im Vergleich zu dem unerträglichen Schmerz, der ihn gerade blitzartig durchzuckt hatte.
    Er dachte an den Weg bis zu seinem Auto, den er, wenn das Schicksal ihm übel mitspielte, niemals ohne Krücken schaffen würde. Das weckte die schlimmsten Erinnerun-gen – an einen Sturz auf den gefliesten Küchenboden zum Beispiel, als sie ihn mit einem Fußtritt vor die Brust vom Stuhl gefegt hatte, weil er seine Schwester in Schutz genommen hatte, eine ganz schlimme Szene aus der Zeit, als der Wahnsinn zu Hause seinen Höhepunkt erreichte und ein extrem rauhes Klima herrschte, in der am Boden liegen zu bleiben oftmals die beste Taktik war.
    Die Schwimmbadbeleuchtung schaltete sich automatisch ein. Seine Rückenmuskulatur war vollkommen verspannt, und weil er einen erneuten Stromstoß fürchtete, vermochte er sie auch nicht mehr zu lockern. Sie bildete einen Knoten, einen schmerzhaften Block, der nur die totale Bewegungslosigkeit duldete,

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