Die Rastlosen (German Edition)
blumengeschmückten Balkon ging. »Das ist mein Schlafzimmer.«
Er seufzte innerlich. So viele andere Gedanken schossen ihm durch den Kopf, während sie ihm mit vorgestreckter Brust ihre Hand hinhielt. Es war nicht Annie Eggbaums Gesellschaft, die er in diesem Moment herbeisehnte.
Er ignorierte ihre Einladung und zog ein paar Papierbögen aus seiner Tasche. »Sagen Sie, Annie, hat Ihnen nie jemand gesagt, dass das Semikolon ausgedient hat?«
Er ließ ihr keine Zeit, darauf einzugehen, legte eine Hand aufs Herz und forderte sie auf, es ihm gleichzutun. »Spüren Sie das? Sagt Ihnen das etwas? Hören Sie, Annie, ich glaube, dass wir über Rhythmus sprechen müssen. Ich glaube, dass Sie Ihre Ohren spitzen müssen.«
Das Ziel war, sie auf Abstand zu halten. Wer jedoch an eine wild entschlossene Frau geriet, hatte kein leichtes Spiel. Er setzte sich also nicht hin, sondern blieb auf der anderen Seite des Tischs stehen, wenn er sehen wollte, was sie geschrieben und welche Korrekturen er an den Rändern ausgeführt hatte.
Im Gegensatz zu ihrer Freundin Barbara hatte sie kein Talent, und er konnte sie während der ersten halben Stunde damit ruhigstellen, dass er sie mit ihren Schwächen konfrontierte, mit den Mühen, die es bedeutete, einem Satz den richtigen Rhythmus, den richtigen Impuls zu geben usw. – und dabei möglichst nicht so zu wirken, als sei man ein Gewichtheber in voller Aktion.
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Im Haus herrschte Stille. Es war eine moderne, weitläufige Villa mit großen Fenstern. Plötzlich hörte er einen Platscher. Er sah auf, gerade hatte er von der Geschmeidigkeit und der Starre der Schlange gesprochen, damit sich seine Studentin ein etwas genaueres Bild davon machen konnte, was man mindestens erfüllen musste, um publiziert zu werden, zumindest die Metapher der Schlange sollte sie im Kopf haben. Die Geschmeidigkeit und die Starre.
Sie tauchte wieder auf. »Kommen Sie!«, rief sie ihm triefend zu.
Er setzte sich lieber in einen Liegestuhl.
»Das Haus ist leer bis auf uns beide«, betonte sie, als sie wie eine Sirene auf der Höhe seines Liegestuhls andockte.
Das hatte er sich fast gedacht. Vor nicht allzu langer Zeit hätte er die Wünsche dieser jungen Frau bereitwillig erfüllt, und die Sache wäre erledigt gewesen. Aber heute lagen die Dinge anders. Die Berge waren zusammengekracht, die Gipfel ruhten nun im Tal.
»Glauben Sie vielleicht, dass sich das steuern lässt?«, fuhr sie mit tonloser Stimme fort. »Glauben Sie, ich weiß nicht, was Sie mir damit sagen wollen? Diesen ganzen Quatsch.«
»Quatsch? Ich habe nichts gesagt. Keine falschen Beschuldigungen, bitte. Annie. Jeder weiß, dass so etwas passieren kann, Annie. Das geht vorüber. Schauen Sie mich an. Ich bin dreiundfünfzig. Sie haben etwas Besseres verdient. Ich kannte eine Frau, die sich in ihrem Alter in Jankélévitch verliebt hatte. Sie versäumte keine einzige seiner Vorlesungen, behielt aber nicht ein Sterbenswörtchen von dem, was er sagte.«
Sie hieb mit dem Arm ins Wasser, das in seine Richtung spritzte, ihn aber nicht erreichte. Er zündete sich eine Zigarette an – und stellte sich vor, wie traurig ein Leben ohne Tabak wäre. Weiter unten schimmerten die Lichter der Stadt, doch um sie herum herrschte Stille, nur Insektenzirpen und Vogelgeschrei waren in der Dämmerung zu hören.
Er nahm ein paar Züge von seiner Zigarette. »Haben Sie nie darüber nachgedacht, dass ich vergeben sein könnte?«, fragte er sie. »Ist Ihnen das nicht in den Sinn gekommen?«
»Ich bin nicht eifersüchtig. Meinen Sie diese Frau?«
»Keine Ahnung. Zum Beispiel.«
»Nicht mehr die Jüngste.«
»Genau.«
Sie fand eine Badehose im Ralph-Lauren-Stil für ihn, eigens für kurz entschlossene Gäste gedacht. Er war froh, dass er sich hatte erweichen lassen, denn sofort ließ die heraufziehende Migräne nach – die Wasserpflege mit Aktivsauerstoff war sicherlich nicht für jedermann erschwinglich, aber ach, wie sehr wusste er sie zu schätzen, oh, wie gern hätte er diese Methode wärmstens weiterempfohlen, oh, wie weich machte sie die Haut.
»Sie ist eher in meinem Alter. Das sehen Sie ja. Ich kann ihr gegenüber gewisse Gefühle entwickeln, die ich für Sie, Annie, nicht empfinden kann, das müssen Sie verstehen. Ab einem gewissen Zeitpunkt spielt der Intellekt eine viel größere Rolle. Wissen Sie, vielleicht nimmt mein Leben gerade eine entscheidende Wende. Ich weiß, das ist nicht sehr cool für Sie, das ist mir voll
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