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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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keine Salbe, keine Massage, nichts, er wollte nichts, außer dass man ihn eine Weile in Ruhe ließ, damit er wieder zu Atem kam, nichts, außer dass er sich nicht bewegen musste.
    Er schaffte es kaum, sich aufzusetzen, als Christian Eggbaum eintraf – Annies Vater, dessen Schergen ihm eine liebenswürdige Abreibung verpasst hatten –, so steif waren seine Gelenke, so kribbelig seine Nerven. Er entschuldigte sich, zog ungeschickt den Bademantel über seine Oberschenkel und erklärte, dass er plötzlich von einem äußerst schmerzhaften Muskelkrampf in der Lendengegend erfasst worden sei. »Ich weiß, wer Sie sind«, antwortete der Gastgeber. »Sie sind der Dozent meiner Tochter.« Er trat lächelnd auf ihn zu und streckte ihm mit einer jovialen Geste die Hand hin.
    Später geleiteten ihn Vater und Tochter zu seinem Fiat – er lehnte das Angebot ab, sich nach Hause bringen zu lassen, und schützte vor, er habe es noch nie angenommen und dass diese Straße ihn noch nie davon abgehalten hätte usw. Sie stützten ihn jeder auf einer Seite und sprachen ihm bei jedem Schritt Mut zu, als wäre er ein Mitglied der Familie, das man nicht einfach so hängenließ. Der Mann sah nicht aus wie ein gewöhnlicher Mafioso oder wie ein Bankräuber, der sich regelmäßig in Clubs prügelte, sondern wie der Finanzbetrüger von heute, der auf den Schnitt seiner Hemden achtete und Wert legte auf ein gutes Parfüm – in diesem Fall Five O’Clock au Gingembre von Serge Lutens.
    Seltsame Menschen. Diese beiden guten Seelen hatten ihn sanft auf sein ringförmiges Kissen gesetzt, das er ein paar Tage zuvor gekauft hatte, und nun, da er die Stadt hinter sich ließ und zu sich hochfuhr, nun, da am nächtlichen Himmel die Sterne über dem Wald erwachten und er allein am Steuer seines Wagens saß, begannen Annies Tabletten zu wirken.
    Er war nicht fahrtüchtig. Zum Glück kannte er die Strecke in- und auswendig, sonst wäre er im Graben gelandet oder es hätte ihn über die Leitplanke geschleudert und beim Sturz in den Abgrund fürchterlich überschlagen. Die Fahrbahn verschwamm vor seinen Augen, aber er hatte den realen Straßenverlauf im Kopf und ergänzte nach Bedarf, und so schaffte er es, seinen Weg mehr oder weniger problemlos fortzusetzen. Solange ihm niemand entgegenkam.
    Mit fest angelehntem Rücken und unbelastetem Steißbein dazusitzen schien ihm dennoch gutzutun – diese scheußlichen Gesundheitskissen bewirkten wahre Wunder. Er richtete sich auf – eine Bewegung, die noch vor wenigen Minuten undenkbar gewesen wäre, als die Eggbaums ihn in den Wagen gesetzt und gebeten hatten, er möge doch wiederkommen, sobald es ihm besserginge.
    Gleichwohl hupte er, als er zu Hause war, denn er wollte nicht leichtsinnig einen Fehler begehen, nicht aus einem übertriebenen Selbstbewusstsein heraus so nah am Ziel eine tödliche Attacke riskieren. Er brauchte Mariannes Hilfe, um sich aus dieser Konservendose von einem Auto zu schälen, die offensichtlich für Zwerge konzipiert war. Er hupte noch einmal, aber wieder ohne Erfolg. Schließlich beugte er sich leicht nach vorn und sah, dass der Alfa von Richard Olso am Straßenrand geparkt war.
    Er kurbelte sein Fenster herunter und hörte vom Haus her ein mehr oder weniger menschliches Krakeelen. Als würde man gleich einem Haufen Leute die Kehle durchschneiden. Hundegebell? Sirenen. Helikopter. Schüsse. Ein ohrenbetäubendes Getöse. Aber in der Umgebung war es still, aus dem Schornstein stieg eine feine weiße Rauchsäule und löste sich schließlich am sternenübersäten, völlig wolkenlosen Firmament auf – die Bergkämme schimmerten im Mondlicht, das Wasser des Sees glitzerte friedlich durch die Bäume, Rehe huschten vorbei, Eichhörnchen knabberten Nüsse, Raubvögel zogen lautlos ihre Kreise in der lauen Luft.
    Er biss die Zähne zusammen und öffnete die Wagentür, nachdem er sich zuerst noch eine Zigarette zwischen die Lippen gesteckt hatte. Dann hievte er sich nur mit der Kraft seiner Arme aus dem Sitz, und als er aufrecht in der milden, friedlichen Abendstimmung stand und das Geschrei aus dem Haus seinen Höhepunkt erreichte, prüfte er, ob er das Gleichgewicht halten konnte, um sich dann, einigermaßen zuversichtlich, mit dem Feuerzeug seine Zigarette anzuzünden, bevor er sich in Bewegung setzte. An diesem Tag schien jede Zigarette besonders gut zu schmecken.
    Die Wände des Hauses wackelten. Es war eine besonders brutale Szene aus Apocalypse Now, und Richard Olso hatte das Kommando.

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