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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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ich schon das Vibieren der Schiene
gespürt. Ich sprang zur Seite. Eine Lokomotive keuchte heran. Sie schob heiße
Luft vor sich her und zog Waggons mit neuen glänzenden Autos. Der Lokführer
lehnte sich aus der Lok und schrie irgendwas, das aber im Lärm der Räder
unterging. Und schon verschwand der Zug im Tunnel.
    Ich ging wieder hinauf zu
Hélène.
    „Die Rote wohnt hier im
Viertel“, sagte ich. „Sie hat die alten Klamotten dort hingeworfen. Wenn es
nicht so heiß wär, hätte sie sie bestimmt verbrannt. Jetzt müssen wir nur noch
rauskriegen, wo sie wohnt, Ein Kinderspiel. Auf zu Jakowski. Wenn der nichts
weiß, halten wir das Foto allen Lebensmittelhändlern unter die Nase.“
    Die Rue des Camélias folgte ein
paar Meter dem Gitterzaun des Bahndamms. Dann, hinter einer alten Treppe von
fünf, sechs Stufen, die zu einer geheimnisvollen Tür im Zaun führte, standen
links und rechts die verschiedenartigsten Häuschen. Wie in Montsouris, in der
Rue du Douanier. Überall Blumen und Kletterpflanzen. Aus einem Radio drang
leise Musik. Irgendwo läutete das Telefon. Ein Hund zerrte knurrend an seiner
Kette. Aber er begnügte sich damit, Fliegen zu fangen.
    Wir bogen nach rechts in die
Rue des Mariniers ein. Kurz darauf standen wir vor dem Pavillon von Anatole
Jakowski. In dem offenen Fenster hielten Grünpflanzen Wache. Drinnen klapperte
eine Schreibmaschine. Ich läutete an der Tür.
    „Was für eine freudige
Überraschung“, rief Jakowski, als er uns öffnete.
    Seine blonden Barthaare
zitterten. Er nahm seine Samtmütze ab und grüßte Hélène. „Kommen Sie rein.
Ralph Messac ist auch gerade hier. Bin dabei, mein Buch über Alphonse Allais zu
beenden.“
    Wir folgten ihm in sein
Arbeitszimmer. Es war mit naiven Bildern und ziemlich bizarren Gegenständen
dekoriert, mehr oder weniger surrealistisch. So was sammelte er. Auf einem
Möbel, zwischen zwei Tabakdosen in Form von menschlichen Schädeln, bewegte sich
eins der ersten Mobiles von Calder.
    Ralph Messac, sehr würdevoll
mit seinem beeindruckenden Bart, stand gegen die Wand gelehnt und rauchte seine
Pfeife aus Veilchenholz. Seine Haare kitzelten die Sirène, die man lange
bei dem Dichter Robert Desnos in der Rue Mazarine bewundern konnte.
    „Was treibt dich hierher?“
fragte Messac. „Ist im 14. was passiert?“
    „Hab was für Sie“, lachte
Jakowski. „Spalte ,Schwarzer Humor“. Heute morgen ist
einer aus dem Broussais entlassen worden. Gesund. Wurde von dem Krankenwagen
überfahren, der grade um die Ecke kam mit einem, der im Sterben lag. Resultat:
zwei Tote.“
    Erklärend wandte er sich an
Hélène:
    „Unser Freund hat sozusagen
eine Zeitung für wichtige Belanglosigkeiten aus dem Arrondissement.“
    „Eine Anthologie des Alltags“,
sagte ich lachend. „Überfahrene Hunde, Klatsch und Tratsch, Einbrüche usw. A
propos: die Einbrüche von Montsouris müssen doch ein gefundenes Fressen für
dich gewesen sein, hm?“
    Ralph Messac nahm langsam seine
langstielige Pfeife aus dem Mund und blies den Rauch zu einer Flasche, in der
zwei Männer aus Kork Karten spielten. Um Messac Gesellschaft zu leisten,
zündete ich mir ebenfalls eine Pfeife an.
    „Für solchen Kleinkram
interessiere ich mich nicht“, sagte er. „Dann schon eher für das, was Jakowski
erzählt hat. Oder für die Sache mit den beiden Höhlenforschern von der Place
Victor-Basch. Die sind am hellichten Morgen aus einem Gully gekrochen, direkt
vor einem Flic. Mit Laternen, Seilen, Hacken usw. Der Flic wollte seinen Augen
nicht trauen. Die zwei hatten sich in den Katakomben einschließen lassen, um in
aller Ruhe die unterirdischen Gänge erforschen zu können. Diese Witzbolde!“
    „Kann man wohl sagen. Aber hört
mal, Leute! Sollen wir nicht besser aufhören mit den Geschichtchen? Wie ich
euch so kenne, sitzen wir noch heute nacht hier.“
    Ich holte das Foto raus und
reichte es Jakowski.
    „Sehen Sie mal.
Höchstwahrscheinlich wohnt die Kleine hier in der Gegend. Kennen Sie sie? Auf
dem Foto sieht man’s vielleicht nicht so, aber in natura ist sie
unvergeßlich.“
    „Natürlich kenne ich die.“ Er
tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto. „Unvergeßlich. Und unvergessen. Wenn
Mademoiselle nicht hier wär...“ Er schielte zu Hélène hinüber, die eine Vitrine
mit Nippes aus der Belle Epoque betrachtete. „...würde ich Ihnen was erzählen,
aber in Polen...“
    „Vergessen Sie Polen! Erstens
gibt’s das gar nicht, wie Alfred Jarry geschrieben hat. Haben Sie das nicht

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