Die Ratten im Maeuseberg
ihrem Stil. Glaub nicht, daß diese Zeichnung von Courtenay
stammt... Hm... Natürlich möchte ich’s nicht beschwören...“
„Schön. Na ja, dann haben sie
vielen Dank...“
Zum allgemeinen Bedauern
steckte ich die Zeichnung wieder ein.
„Ist er reich, dieser
Courtenay?“
„Ja. Hat’s bestimmt nicht
nötig, sich mit so was die Brötchen zu verdienen, wenn Sie das meinen.“
„Das meine ich nicht. Ich dachte
mehr an die Kerle unten auf der Leiter, die von seiner Frau besucht werden. Die
könnten doch auf die Idee kommen, den reichen Ehemann zu erpressen. Und er bei
seiner gesellschaftlichen Stellung, ganz oben auf der Leiter...“
Anatole Jakowski schüttelte den
Kopf.
„Glaub nicht, daß das
funktioniert. Ich war mal Zeuge einer Szene vor seinem Haus. Er boxte sich mit
einem üblen Burschen. Dabei schrie er: ,Du willst
Urlaub machen? Ich schlag dich krankenhausreif. Da kannst du dich in Ruhe
erholen!’ Der Ganove hatte sicher Geld von ihm verlangt, um in Urlaub zu
fahren. Sie verstehen, Burma. Das Verhalten seiner Frau kann Courtenays Ruf
nicht ruinieren. Der ist schon ruiniert. Er ist. Künstler. Sie wissen doch, was
das heißt: die kleinkariertesten Leute lassen einem Künstler oder seiner
Umgebung alles durchgehen, was sie einem Lebensmittelhändler, einem General
oder einem Finanzbeamten niemals verzeihen würden! Mit anderen Worten:
Courtenay wird kaum zahlen, damit jemand die Schnauze hält über das, was
sowieso schon alle wissen.“
„Klar. Vielen Dank noch mal.
Wir werden Sie jetzt alleine lassen mit Alphonse Allais.“
Wir tauschten per Handschlag
unsere Bazillen aus.
„Sehr erfreut, Sie
kennengelernt zu haben, Monsieur Jakowski“, säuselte Hélène formell. „Ihre
Kunstsammlung hat mir sehr gefallen. War mir ein Vergnügen.“
Unser Gastgeber lächelte
bescheiden.
„Ach, das ist noch gar nichts“,
sagte ich. „Sie müßten erst mal seine Büste sehen!“
„Was ganz Besonderes!“
pflichtete Messac bei.
„Dafür müßten wir in mein
Schlafzimmer gehen“, sagte der Kunstkritiker.
Hélène runzelte die Stirn. Ich
sah auf meine Uhr. Wir hatten Zeit genug.
„Es handelt sich nicht um die
Büste unseres Freundes“, erklärte ich. „Nicht aus Fleisch und Blut. Ein
Kunstgegenstand, den er..- Ich sah Jakowski an — „...auf dem Flohmarkt gekauft
hat, stimmt’s?“
„Porte de Vanves, ja.“
„Würden Sie meiner Sekretärin
Ihre Büste zeigen?“
„Mit dem größten Vergnügen.“
Die Büste thronte im Halbdunkel
eines Hinterzimmers, eingerahmt von magischen Laternen und Jugendstilbronzen.
In den Schaufenstern von Wäschegeschäften dienen solche Büsten dazu,
Büstenhalter auszustellen. Diese hier war von einem ungezügelten Geist in den
phantastischsten Kunstgegenstand verwandelt worden, den man sich erträumen
kann: ein ungewöhnliches Stück, Teil einer Sirene, irgendeiner grauenhaften
Gallionsfigur irgendeines Geisterschiffs, liebkost von glitschigen Algen und
bunten Muscheln. Wie erstarrte Küsse. Ohne Kopf, ohne Arme, die Kehle dem
Messer des Opferpriesters theatralisch dargeboten, über und über bedeckt von
Meeresmuscheln und Schnecken, die sich zum Teil überlappten, starr, aber
scheinbar immer von Wogen des Meeres bewegt. Ich kannte kein verwirrenderes
Beispiel für ein ‚Objekt des Surrealismus’.
„Wie finden Sie den Trödel?“
fragte ich Hélène.
„Verblüffend.“
„Der Mann, der mir die Büste
verkauft hat“, sagte Jakowski, „behauptete, sie genauso an einem Strand
gefunden zu haben. Wollte mir weismachen, das sei ein Naturobjekt. Aber ich hab
mich nicht bequatschen lassen. Er mußte mit dem Preis runtergehen.“
„Tja“, sagte ich. „Aber jetzt
wollen wir gehen, bevor einer von uns noch Petroleum schluckt oder ‘ne
Striptease-Nummer hinlegt.“
Wir verabschiedeten uns. Die
Poesie ist ‘ne prima Sache, aber davon kann man nicht leben. Man muß sich auch
hin und wieder mit ernsthaften Dingen beschäftigen.
9.
Rue des Camélias
Wir gingen zurück in die Rue
des Camélias, wo der Dugat stand. Courtenays Haus sah nicht bewohnter aus als
eben. Ich wußte schon so nicht richtig, wie ich den Fall anpacken sollte. Aber
wenn alle Welt vor mir Reißaus nahm, konnte es ja noch heiter werden. Blieb nur
zu hoffen, daß der Maler und seine Frau nur vorübergehend auf Ritt waren. Eine
Hoffnung mehr oder weniger, was machte das schon.
Wir fuhren über die Rue
Raymond-Losserand und die Rue d’Alésia auf die Avenue du Général-Leclerc.
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