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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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36.“
    „Wollen Sie Kommissar Faroux
alarmieren?“
    „Erst wenn’s unbedingt nötig
ist. Im Augenblick jedenfalls brauchen wir uns nicht mit Spurensuche
aufzuhalten. Ferrand hat den Namen seines Mörders oder seiner Mörderin nicht an
die Wand geschrieben. Auch nicht Name und Adresse der Person, die im Todesfall
zu benachrichtigen ist. Aber da wir schon mal hier sind, gehen wir doch schnell
nach nebenan…“
    Das Zimmer, aus dem gestern nacht die Rothaarige gekommen war, gehörte zu einer
Dreizimmerwohnung. Ein Zimmer ging zur Straße, die anderen beiden zeigten auf
Bahndamm und Kohlehalden. Der Architekt dieser Bruchbude hatte wahrscheinlich
bei Dr. Caligari studiert. Einen verrückteren Bau konnte man sich kaum
vorstellen. Le Corbusier hätte seine Reißfeder verschluckt. Auch der
Innenarchitekt war hochbegabt. Zusammengesuchte Möbel spielten
,Bäumchenwechseln’ , leere Flaschen spielten Kegeln. Ich öffnete die
Schubladen einer Kommode.
    Das Geräusch klang hohl wie
eine Rede im Parlament. Die gleiche Leere.
    Ich sah aus dem Fenster auf die
Bahngleise. Ein paar Quadratmeter erstreckten sich bis zum Damm. Früher
bestimmt ein Garten, heute überwuchert von Unkraut. Niemand zu sehen. Niemand,
der mir etwas zuwerfen konnte, einen Stein oder einen guten Rat. Nicht mal ‘ne
Leiche.
    Ich ging zu Hélène, die das
nächste Zimmer besichtigte.
    „Also wirklich! Da hört doch
alles auf!“ rief sie.
    Als ich ins Zimmer trat, fuhr
sie erschreckt zusammen und drehte sich um. Auf ihren Wangen hätte man
Spiegeleier braten können, so feuerrot war sie geworden. Ich hatte sie dabei
überrascht, wie sie sich Bilder über dem Bett ansah, die — weiß der Teufel
warum! — für brave kleine Mädchen strengstens verboten sind: eine Sammlung
aufmunternder Brüste und Hintern. Derjenige, der in dieser Flohkiste schlief,
hatte eine Vorliebe für Pin-up-Girls aus einschlägigen Magazinen. Aber das
Prachtstück der Sammlung war kein Foto, sondern eine Originalzeichnung. Tusche,
sehr sorgfältig ausgeführt von einem Künstler, der sein unbestreitbares Talent
an höchst eigenwilligen Kompositionen erprobte. Die realistische Darstellung
hätte zur Not die Speisekarte für eine Hochzeit zieren können, aber bestimmt
nicht die für eine Kommunion.
    „Wird ja immer besser“, freute
ich mich.
    Ich wollte die Zeichnung von
der Wand nehmen, da fiel mir Hélène in den Arm.
    „Lassen Sie das hängen, Sie
Sittenstrolch!“ rief sie wütend.
    Ich befreite mich, die
Zeichnung wie eine Trophäe in der Hand.
    „Dumme Ziege! Lassen Sie doch
andere Leute ihre Laster frei ausleben, verdammt nochmal! Sehen Sie, hier, was
Sie sich entgehen lassen mit ihrer verspäteten Prüderie.“
    Ein Foto, 6x9, hatte unter der
Zeichnung in der Nähe einer Heftzwecke gesteckt. Als ich die Zeichnung von der
Wand genommen hatte, war das Foto aufs Bett gefallen.
    „Noch so ‘ne Schweinerei“,
bemerkte Hélène, ohne hinzusehen.
    „Nein, mein Herzchen. Die hier
ist angezogen. Aber deshalb nicht weniger begehrenswert. Und vor allem scheint
sie nüchtern zu sein.“
    Auf dem Foto war eine junge
Frau zu sehen. Lange Haare, die sich bis auf die Schultern lockten, ein
elegantes Kleid, das ihren Körper zur Geltung brachte. Die Frau lehnte sich
anmutig gegen das Geländer einer Eisenbahnbrücke. Darunter waren ein einziges
Gleis und eine bewaldete Böschung zu sehen. Eine ländliche Idylle.
    „Meine Rothaarige“, sagte ich
und steckte Foto und Zeichnung ein. „Auch die schlausten Köpfe lassen immer
irgendwo was rumliegen. Sie sehen, manchmal kann ein liederliches Hobby
durchaus nützlich sein.“
    Hélène zuckte nur die Achseln,
sagte aber nichts. Ich gab das Zeichen zum Aufbruch. Hatte in diesem gastlichen
Haus mehr gefunden, als ich gehofft hatte. Wir konnten uns verhalten wie die
ehemaligen Mieter: weggehen, ohne sich umzusehen. Und wieder gab es eine freie
Wohnung für Abbé Pierre!
    Wir gingen zurück in die
Werkstatt. Hélène schmollte und wartete draußen.
    „Alles klar, M’sieur“, rief mir
der Mechaniker im Blaumann zu. „Wie war der Spaziergang?“
    „Schön“, log ich.
    „Kann ich mir vorstellen“,
antwortete er augenzwinkernd. „Was kostet der Spaß?“
    Er nannte eine Summe. Hélénes
heimlicher Verehrer strich um mich herum. Wartete wohl auf ein Trinkgeld. Ich
drückte ihm was in die Hand und zeigte ihm das Foto, das ich mitgenommen hatte.
    „Du interessierst dich doch für
schöne Miezen. Kennst du die hier

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