Die Ratten im Maeuseberg
Es
herrschte reger Verkehr. Wir bogen nach links in Richtung Place
Den-fert-Rochereau. Eine dichte Menschenmenge wälzte sich über den Bürgersteig.
Zwischen Schaufenstern und parkenden Wagen. Der Bürgersteig auf der
gegenüberliegenden Seite war nicht so belebt.
Ich parkte meinen Wagen vor dem
Café L’Oriental. Wir setzten uns auf die Terrasse mit Blick auf den Löwen von
Beifort und den Eingang zu den Katakomben. Nach einer Weile fragte mich Hélène,
ob ich sie noch brauche. Dienstlich brauchte ich sie nicht mehr, und sie
verabschiedete sich. Ich wartete bis sieben Uhr. Dann ging ich nach unten, um
Monsieur Gaudebert anzurufen. Am Telefon lügt es sich leichter.
„Hab mir den ganzen Tag im
Postamt die Beine in den Bauch gestanden“, log ich munter drauflos. „Umsonst.
Niemand hat für einen Monsieur Ferrand was Postlagerndes abgeholt.“
„Ach!“ wunderte sich Armand
Gaudebert.
„Ich nehme an, unser Mann ist
aufgehalten worden. Vielleicht ist er von den Flics einkassiert worden, wegen
‘ner anderen Sache. Soll ich das mal nachprüfen?“
„Warten Sie noch damit. Können
Sie morgen wieder vor dem Postschalter Wache halten?“
„Selbstverständlich.“
„Wenn er morgen auch nicht
kommt, heißt das, er hat von selbst eingesehen, daß es keinen Zweck hat. Dann
war es nur ein Abtasten, wie ich’s vermutet habe.“
„Bestimmt. Guten Abend,
Monsieur.“
Er konnte beruhigt sein.
Ferrand würde auch morgen nicht kommen. Der Tätowierte würde ihn nie mehr
belästigen. Aber ich hatte nicht die Absicht, es meinem Klienten zu sagen.
Erstens war das mein Geheimnis. Zweitens hatte der Mord nichts mit dem
Erpressungsversuch zu tun. Und drittens hätte ich — da ich ja zu nichts nütze
war — zumindest einen Teil des Geldes zurückgeben müssen, daß mir der
Oberstaatsanwalt i.R. schon gegeben hatte. Darauf legte ich natürlich keinen
Wert.
Ich aß im L’Oriental ‘ne
Kleinigkeit. Dann wechselte ich auf die Terrasse des Cyrano,
Place Victor-Basch. Das Café lud durch ein auffälliges Schild zu einem Wein aus
Bergerac ein, der Spezialität des Hauses.
Als es dunkel war, fuhr ich
wieder in die Rue des Camélias. Mal sehen, ob Courtenay oder seine Frau wieder
zu Hause aufgetaucht waren.
Ich parkte den Wagen am
Boulevard Brune und ging zu Fuß in die Rue des Camélias. Alles schlief,
eingehüllt von einem angenehmen Jasmin- und Ligusterduft. Bei dem Maler schien
sich nichts verändert zu haben. Kein Licht, weder in dem breiten Atelierfenster
noch in den kleineren Fenstern der übrigen Zimmer. Wenn ich mich mit Courtenay
oder seiner heißglühenden Frau unterhalten wollte, mußte ich warten... und mich
in die Schlange stellen. Denn vor mir stand sich schon jemand die Beine in den
Bauch.
Im Schatten eines Baumes der
Böschung hing er hinter dem Gitterzaun. Schien das normannische Haus zu
überwachen. Dort waren übrigens zwei Fenster geöffnet, wie ich erst jetzt
bemerkte. Ich dachte sofort an die Ratten von Montsouris. Vielleicht stand der
Kerl am Gitter Schmiere, während seine Kollegen das Haus leerräumten. Aber das
war natürlich Quatsch: er hätte bei meinem Auftauchen schon längst Alarm geben
müssen. Oder er hatte nur sich selbst alamiert, dieser schäbige Egoist. Er
machte sich vom Gitter los und ging zur Brücke, langsam, aber elastisch.
Bereit, sofort einen höheren Gang einzulegen, falls nötig. Die Laterne am
Anfang der Brücke tauchte ihn in helles Licht, was mir aber überhaupt nichts
nützte. Ich konnte nur feststellen, daß er etwa meine Körpermaße hatte. Sein
Hut unterschied sich nicht von dem aller Pariser Männer.
Ich folgte ihm auf die Brücke,
in die Rue des Arbustes. Dort rief ich hinter ihm her. Er nahm seine Beine in
die Hand und rannte in die Rue Raymond-Losserand, zu schnell für mich.
Ich ging zurück in die Rue des
Camelias. Von der Brücke aus sah ich Licht in den Fenstern, die eben noch
dunkel gewesen waren. Jetzt wurde das Licht wieder ausgeknipst. Ich nahm den
Platz des Mannes ein, den mein Auftauchen verscheucht hatte. Wie er starrte ich
auf das Haus. Konnte mich nicht entscheiden, was ich tun sollte. Da entschied ein
anderer für mich.
Leise öffnete sich eine Tür,
Schritte knirschten auf dem Kiesweg, das Gartentor quietschte in den Angeln. Er
kam über die Straße, direkt auf mich zu. Bevor ich piep sagen konnte, stand er
vor mir. Der Jasmin- und Ligusterduft wurde von Gingeruch verdrängt.
„Am besten, wir bringen’s
hinter uns“, flüsterte der
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