Die Ratten im Maeuseberg
zeigt sich der angrenzende Parc de Montsouris. Er stammt aus der
Erbmasse des unerbittlichen Stadtsanierers Baron Haussmann, der auf dem Gelände
ehemaliger Kalksteinbrüche eine der größten Grünflächen der Stadt anlegen ließ.
Mit kurvigen Alleen, künstlichen Kaskaden und einem See. Als am Tag seiner
Einweihung das eingelassene Wasser rätselhaft und grundlos versickerte, nahm
sich der verantwortliche Ingenieur diese Peinlichkeit zunächst sehr zu Herzen
und daraufhin das Leben. Einem anderen, bis heute unvollendeten Bauvorhaben
wurde auf dem Spielplatz ein Denkmal gesetzt: der sogenannten Mission Flatters.
Es war eine Gruppe von Experten, die vor über hundert Jahren das ehrgeizige
Projekt betrieb, eine Eisenbahnstrecke quer durch die Sahara zu führen. Der
Plan stieß jedoch auf heftigen Widerstand der Touaregs. Ein Obelisk (keine
Pyramide, wie Burma meint) erinnert daran, daß die fortschrittsfeindlichen
Wüstenkrieger die Herrschaften aus dem fernen Frankreich allesamt umbrachten.
Auffallend schließlich ein
Pavillon im maurischen Stil, die Nachbildung des Palais Bardo, der Residenz des
Beys von Tunis, die im Original in der tunesischen Hauptstadt heute als
Parlament und als Museum dient. Die Pariser Kopie war zunächst für eine
Weltausstellung aufgebaut worden und wurde später Sitz des meteorologischen
Observatoriums. Zur Zeit wird der Pavillon mit großem
Aufwand restauriert.
Die kleinen Seitenstraßen am
Park gelten als allererste Wohnadresse. Der über holpriges Kopfsteinpflaster
führende Square Montsouris zum Beispiel, eine Aneinanderreihung entzückender
Hexenhäuschen mit winzigen Vorgärten. Eine ländliche Idylle von ganz unpariserischer
Beschaulichkeit. Hier vielleicht und nicht in der benachbarten Rue du Douanier
mag Malet seinen Monsieur Gaudebert einquartiert haben.
„ Das
Haus, in das mich die Pflicht ruft, stammt aus den Anfängen unseres
Jahrhunderts. Hochparterre, eine Etage. Wozu das Türmchen an der linken Seite
gut sein soll, ist nicht ganz klar. “
Malet ortete seine Schauplätze
häufig im Nebenhaus oder eine Straße weiter, kaschiert und korrigiert und setzt
zuweilen einen zusätzlichen Farbtupfer. Der findige Bummelant tut gut daran,
Burmas Spürsinn nachzueifern. Unser alter Freund, der Zöllner, hat sich den
Park, phantasievoll angereichert, immer wieder zur Kulisse gemacht. Und wenige
Jahre später nur spazierte ein Mann über die hügeligen Wege, der ungleich
berühmter werden sollte: Ein gewisser Lenin. Der Revolutionär im Wartestand
hatte sich vier Jahre lang in Paris niedergelassen. Zuerst in der Rue Beaunier
und dann in der Rue Marie-Rose. Mit Frau und Schwiegermutter lebte er in einer
kleinen dunklen Wohnung ohne jeden Komfort. Es gab kein Bad und keine Schränke.
Kleider und die vielen hundert Bücher wurden in Obstkisten verstaut. Später
wurde in dem schmucklosen Heim ein Museum eingerichtet — freilich ohne jedes
Original. Ehrengäste der Kommunistischen Partei Frankreichs, zumal aus Moskau
Angereiste, werden traditionell in die stille Rue Marie-Rose gelotst, was mir
vor zwei Jahren immerhin das Spektakel verschaffte, den Genossen Gorbatschow
bei seinem Staatsbesuch vom heimischen Balkon aus auf Wallfahrt zu sehen. An
der Außenwand des etwas düster wirkenden Hauses ist eine Plakette mit dem
Bildnis Lenins angebracht. Da aber gerade in diesem Viertel viele polnische
Flüchtlinge wohnen, war es sicher kein Zufall, daß das Lenin-Haus nach der
Zerschlagung der Gewerkschaft Solidarität und einer gerade in Frankreich
hochschwappenden Welle der Sympathie für Lech Walesa monatelang Zielscheibe von
antisowjetischen Parolen war. Tag für Tag konnte ich auf dem Weg zur Metro den
jeweils aktuellen Stand der Schmähungen beobachten. Während nächtliche
Malkolonnen weißklecksend wieder einmal den sowjetischen Einfluß in Polen zum
Teufel gewünscht hatten und Walesa hochleben ließen, wurde am hellichten Tag
die Hausfassade wieder saubergetüncht. Einen Tag zum Beispiel nach dem Besuch
des späteren KP-Chefs Tschernenko war ein zellophanverpackter Blumenstrauß
verschwunden und Lenins Nase zierte ein dicker roter Fleck. Die
Farbbeutel-Attentäter hatten wieder zugeschlagen.
Zur Weiterfahrt in das Viertel
Plaisance nehme ich den PC-Bus. PC steht für petite ceinture, den kleinen
Gürtel, die innere Ring-Straße rund um Paris, vor dem Weltkrieg gab es noch die
Ring-Bahn, die dann leider eingestellt wurde und deren Streckenführung
zunehmend verrottet. Pläne, sie
Weitere Kostenlose Bücher