Die Ratten im Maeuseberg
Griff. Aber auf lange Sicht bleibt das wohl Episode.
Auch die Bio-Läden, die
alternativen Kneipen? Das Kino-Center des Mitterand-Neffen Frédéric, jahrelang
Top-Adresse für Film-Freaks, hat erstmal dichtgemacht. Die Plaisance häutet sich.
Ist ständigen Veränderungen unterworfen. Neue Nachbarn kommen und gehen. Aber
die Kirche Notre-Dame-du-Travail, eine der merkwürdigsten in ganz Paris, hat
standgehalten. Ihre eisernen Pfeiler lassen unwillkürlich an die Markthallen
von Monsieur Baltard denken. Irgendwie ist ein Spaziergang durch die alte neue
Plaisance doch ein Vergnügen.
Nicht überall natürlich. Auf
den Spuren von Nestor Burma holt mich immer wieder der Frust ein. Die Rue des
Mariniers, die Rue des Camélias, der Pavillon von Anatole Jakowski, das Haus
von Auguste Courtenay — alles längst vergessen. Neubaugebiet — Burma ad acta.
„ Ich
parkte meinen Wagen am Ende der Rue des Arbustes. Direkt neben dem grauen
Holztor, einer Art Lieferanteneingang des Hôpital Broussais, vor der Schranke,
die den Autos die Zufahrt zur Brücke über die ehemalige Ringbahn verwehrte .“
Nichts da. Keine Schranke,
keine Brücke, keine Ringbahn mehr. Angebaut und zugeschüttet. Das Krankenhaus
ist natürlich noch da. Auch der Lieferanteneingang. Das graue Holztor ist jetzt
aus Eisen, davor ein Haus, das einzige im Umkreis, das wenigstens Vergangenheit
ahnen läßt.
Nestor, pack die Koffer, hier gibt’s nichts mehr zu holen! Der Fall ist erledigt.
Trost auf dem Friedhof. Pariser
Friedhöfe sind nicht trostlos. Auch nicht der von Montparnasse. Der ist zwar
flach wie ein Teller und auch längst nicht so grün wie der Cimetière de
Montmartre oder der Père Lachaise. Aber es ist wohl der literarischste.
Baudelaire liegt dort begraben, auch Guy de Maupassant und Sartre. Und und und.
Der Friedhof ist erst 150 Jahre alt. Bis ins 18. Jahrhundert trafen sich dort
auf freiem Feld die Studenten aus dem Quartier Latin (da, wo man lateinisch
sprach) zu vergnüglichem Treiben. Die zahlreichen Mühlen wurden zu beliebten
Ausflugszielen und produzierten nicht nur Mehl, sondern waren gleichzeitig gern
aufgesuchte Kneipen. Auf diese Sitte führt übrigens auch das Touristen-Kabarett
Moulin Rouge im Norden der Stadt am Montmartre seinen Ursprung zurück. Als die
Stadt zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts am Stadtrand neue Gräberfelder
suchte, wurden die Mühlen auf Montmartre nach und nach abgetragen. Eine einzige
blieb stehen und ist heute eine Art Abstellkammer für die Friedhofswärter.
Jenseits der Steinmauer liegt
die Rue de la Gaîté, die Straße der Fröhlichkeit. Aber die Gaîté hat nichts
mehr zu lachen. Sie ist so trist, als diene sie zur Einstimmung für einen
Friedhofsbesuch. Ihre Blütezeit hatte die Straße bis zur Mitte des vergangenen
Jahrhunderts, als sie noch hinter der Zollbarriere von Paris lag und man dort
keine Weinsteuer zahlen mußte.
Da gab es noch zahlreiche
Gartenlokale und Theater und Kabaretts. Nicht unbedingt der bevorzugte
Treffpunkt der feinen Pariser Gesellschaft aus dem Westen, aber immer gut
besucht. Im Théâtre Montparnasse zum Beispiel konnten die Besucher auf einem
kleinen Ofen in der Mitte des Saales ihre mitgebrachten Speisen während der
Pausen aufwärmen. Schräg gegenüber stand bis vor kurzem noch das „Bobino“,
neben dem „Olympia“ die großer Pariser Music-Hall. Das
„Bobino“ war ein Sprungbrett zur großen Karriere. Die Piaf ist dort
aufgetreten, Maurice Chevalier und Charles Aznavour. Aber die bescheidene
technische Ausstattung des eher intimen Rahmens hielt nicht Schritt mit den
Ansprüchen des Show-Business. Vor ein paar Monaten wurde das „Bobino“
abgerissen, um einem Hotel Platz zu machen. Adieu, Paris. Die um das „Bobino“
Tränen weinen könnten, sind längst weggezogen oder leben nicht mehr. Wie
praktisch, daß der Friedhof gleich um die Ecke liegt.
Die neuen Mieter der Straße
sind finstere Kinos mit drittklassigem Sex-Ramsch auf dem Spielplan und muffige
Porno-Shops. Reeperbahn-Atmosphäre breitet sich aus.
Gehalten hat sich dagegen eine
alte Institution in der Rue Vandamme. Dort treffen sich jeden Nachmittag in
einem verräucherten Keller Hunderte von sogenannten Turfisten, wie die
Franzosen sagen, die bei der Pferdewette ihr Glück suchen. Die auf den
Wettscheinen notierten Pferderennen erfreuen sich in Frankreich einer so großen
Beliebtheit, daß sie in den nachmittäglichen Nachrichten im Radio stets an der
Spitze stehen. Wahrscheinlich selbst
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