Die Rebellen von Irland
katholischen Kaufleuten organisiert hatte. Sie hatte es immer für wichtig gehalten, die Erste zu sein.
Der verzweifelte Krämer war in höchstem Maße erstaunt, als er ein paar Minuten später von dieser unerwarteten und recht Furcht einflößenden Retterin aufgesucht wurde.
»Erzählen Sie mir alles«, befahl sie, »dann wollen wir sehen, was ich tun kann.«
Sie lauschte aufmerksam, als er ihr das Geschäft in allen Einzelheiten schilderte, dann erklärte sie: »Ich werde Ihre Teilhaberin und bekomme ab sofort ein Drittel des Gewinns, aber wir werden alle Ihre Gläubiger befriedigen. In sechs Monaten sind die Schulden getilgt. Entweder Sie akzeptieren, oder Sie lassen es bleiben.«
»Ich akzeptiere«, erwiderte er nervös, »aber …«
»Aber was?«
»Die Schulden sind hoch. Ich weiß nicht, wie wir sie zurückzahlen sollen.«
Barbara Doyle lächelte.
»Ich werde mit Ihren Gläubigern reden. Wir werden uns schon einigen.« Und leiser setzte sie hinzu: »Wer sagt denn, dass wir alles zurückzahlen werden?«
* 1744 *
Im Herbst 1744 wurden George Walsh und Georgiana Law getraut, ein Ereignis, das so selbstverständlich und unvermeidlich erschien wie der lange Frieden, den Irland nunmehr seit fast einem Menschenleben genoss. Und doch lag eine gewisse Angst über der Veranstaltung, so als sei in der Ferne eine böse Hexe aufgetaucht und nähere sich dem Hochzeitsfest.
»Die Franzosen kommen«, ging das Gerücht.
Natürlich waren Gerüchte über eine bevorstehende Invasion nichts Neues. In der nie endenden wollenden Rivalität der europäischen Mächte machte Großbritannien nun gemeinsame Sache mit Frankreichs Feinden. Das weckte bei den Franzosen den Wunsch, in Irland zu landen, um die Engländer zu ärgern. Nun aber kam ein neues Gerücht auf. Der Erbe der verlorenen Stuart-Krone, ein eitler junger Mann, denn die Schotten gern Bonnie Prince Charlie nannten – und den die Franzosen seit Jahren protegierten –, hatte angeblich die Absicht, nach Schottland zu kommen und seine Rechte einzufordern. Ein jakobitischer Aufstand in Schottland und eine französische Invasion in Irland: Dies war genau die Kombination, vor der sich die Regierung in London fürchtete.
Ausnahmsweise einmal war selbst der unerschütterliche Herzog von Devonshire nervös. Befehle ergingen. Die Truppen in den irischen Garnisonen sollten in Bereitschaft versetzt werden. Alle verdächtigen Subjekte sollten gemeldet, alle verdächtigen Priester in Sicherheitsverwahrung genommen werden. Die Iren selbst wurden immer nervöser. Würden sich die drohenden Wolken am Horizont wieder verziehen, wie immer in den Jahrzehnten zuvor? Oder würden sie sich zu einer dunklen Masse zusammenballen und übers Meer an die irische Küste jagen?
***
O’Toole lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und spürte die Sonne im Gesicht. Vor ihm saßen ein Dutzend Kinder im Gras. Einem der Jungen reichte er das Buch, Caesars Kriege auf Latein.
»Übersetze.«
Der Junge begann. Er machte seine Sache nicht schlecht. Aber nach ein oder zwei Minuten verhaspelte er sich. O’Toole zuckte zusammen.
»Nein. So nicht. Wer kann ihm helfen?« Ein anderer machte einen Vorschlag. »Noch schlechter.« Stille. »Conall, was sagst du?« Widerwillig antwortete der Junge. »Sehr gut.«
Der Junge mit dem zerzausten dunklen Haar und den weit auseinanderstehenden grünen Augen sagte immer nur dann etwas, wenn er gefragt wurde. O’Toole verübelte es ihm nicht. Während alle anderen im Gras hockten, thronte Conall Smith auf einem kleinen flachen Felsen, der aus dem Boden ragte. Jeder Versuch eines anderen, einerlei wie groß er war, ihn von dort zu vertreiben, würde damit enden, dass der Angreifer zu Boden gestreckt wurde, denn der junge Conall war mittlerweile außergewöhnlich stark. Doch es war ihm lästig, dass er immer die Fragen des Lehrers zu beantworten hatte, wenn seine Kameraden passen mussten, und manchmal gab er vor, die Antwort nicht zu wissen. Dann starrte O’Toole ihn an, denn er wusste genau, dass er die Antwort kannte, zuckte schließlich mit den Schultern und fuhr fort.
O’Toole liebte den Jungen beinahe so sehr, wie er seine Enkelin liebte. Das machte den heutigen Unterricht so schwierig.
Die Hedge School. Manchmal kauerte der Lehrer mit den wenigen Schülern tatsächlich hinter einer Hecke, auf einer versteckten Waldlichtung oder im Cottage eines Bauern – oder, wie in diesem Fall, hinter einer Steinmauer mit einem herrlichen Blick von den Wicklow-Bergen
Weitere Kostenlose Bücher