Die Rebellen von Irland
brauner Locken. Er stammte aus einer alten katholischen Grundbesitzerfamilie in der Grafschaft Kerry. Georgiana hatte festgestellt, dass junge Leute ihr oft Dinge anvertrauten, über die sie mit anderen nicht sprachen. Ob das mit ihrem Alter zusammenhing, wusste sie nicht. Der junge Daniel O’Connell gestand ihr jedenfalls offenherzig, dass er ehrgeizig sei.
»Ich will in der Welt vorankommen, Lady Mountwalsh«, sagte er. »Deshalb habe ich mich soeben den Freimaurern angeschlossen.«
»Eine kluge Entscheidung«, antwortete Georgiana, »zumal für einen Katholiken, wenn ich so sagen darf.«
O’Connell nickte, seufzte aber zugleich.
»Um die Wahrheit zu sagen: Ich komme zwar aus einer katholischen Familie, habe selbst aber wenig Interesse am Katholizismus. Man könnte mich wohl einen Deisten nennen.«
Auch über seine politischen Ansichten äußerte er sich freimütig.
»Ich habe die Ausschreitungen der Französischen Revolution erlebt, weil ich damals in Frankreich war«, sagte er. »Ich verabscheue die Gewalt.« In anderen Fragen hatte er eine sehr praktische Einstellung. Als ein alter Herr über die Schönheit der irischen Sprache ins Schwärmen geriet, fertigte er ihn kurz ab.
»Ich bestreite nicht die poetischen Qualitäten der Sprache meiner Väter«, sagte er. »Schließlich spreche ich sie selbst. Doch finde ich, dass sie meine Landsleute eher am Fortkommen hindert, und ich würde deshalb nicht bedauern, wenn sie ganz verschwände.« Der alte Herr war entsetzt, doch O’Connell bemerkte zu Georgiana: »Ich spreche nur aus, was viele Iren denken.«
Beim Dessert begann ein allgemeines Gespräch über die Union. Unterschiedliche Ansichten kamen zu Wort. Die meisten Patrioten waren aus Prinzip dagegen. Zu Georgianas Überraschung war jedoch John Mac-Gowan, ein Mitglied der United Irishmen, wie alle wussten, der Vorstellung nicht gänzlich abgeneigt.
»Nach Lage der Dinge werden die Troika und das Dubliner Parlament uns nie entgegenkommen«, gab er zu bedenken. »Womöglich ist das Londoner Parlament die bessere Alternative.«
Dagegen erhob sofort ein Patriot Einwände. »Wir haben seit Jahrhunderten ein Parlament in Irland mit allen Vor- und Nachteilen. Schafft es ab, und ihr bekommt es nie wieder.«
Georgiana blickte zum unteren Ende des Tisches. »Was glauben Sie, Mr O’Connell?«
Sie sah ihm an, dass es ihm nicht unbedingt recht war, so direkt angesprochen zu werden, doch antwortete er trotzdem.
»Ich bin gegen eine Vereinigung, weil Irland eine eigenständige Nation ist. Eines weiß ich allerdings sicher: Ob Irland eine Union mit England eingeht oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle, solange die große Mehrheit der Iren aufgrund der Religion ihrer Väter als minderwertige Bürger gelten.« Er blickte sich in der Tischrunde um. »Solange die Katholiken weiter benachteiligt werden und nicht dem Parlament angehören und nicht wie die Protestanten hohe Ämter innehaben dürfen, wird es in Irland weiter gären. Ob das Parlament in Dublin oder in London sitzt, macht dabei keinen Unterschied.«
Daraufhin meldete sich ein weißhaariger Patriot zu Wort. »Ich gehörte damals zu denen, die mit Grattan stimmten, ich stehe den Vorteilen einer Vereinigung deshalb eher skeptisch gegenüber. Doch ich war vor kurzem in London und kann berichten, dass Cornwallis in jeder Hinsicht Ihrer Meinung ist. Auch Premierminister Pitt hat sich dazu bekehrt. Man will den Katholiken und den mit ihnen verbündeten Patrioten zu verstehen geben, dass das neue britische Parlament den Katholiken gleich nach der Vereinigung Irlands mit England die Bürgerrechte einräumen würde, von denen Sie gesprochen haben. Offiziell kann man das zwar nicht verkünden, weil die protestantische Mehrheit im Dubliner Parlament der Vereinigung sonst nie zustimmen würde, aber man gibt es inoffiziell zu verstehen.«
»Wollen Sie damit sagen, die englische Regierung müsste die irischen Protestanten überlisten?«, fragte Georgiana.
»Ich würde es nie so ausdrücken, Lady Mountwalsh«, erwiderte der Alte mit einem Lächeln.
***
Georgiana sah Daniel O’Connell einige Zeit nicht mehr, sie hörte nur, dass seine Geschäfte glänzend gediehen. Doch sie dachte oft an das Gespräch jenes Abends.
Denn die Worte des alten Patrioten sollten sich schon bald bewahrheiten. Nichts war offiziell, aber von Freunden hörte Georgiana, dass Andeutungen gemacht und vertrauliche Zusicherungen gegeben wurden. Im Herbst stand fest, dass gegen Jahresende
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