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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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solche Schönheit die Schwester eines so unscheinbaren Mädchens sein konnte.
    Am Nachmittag des ersten Weihnachtsfeiertags sagte Charles O’Connell: »Bevor wir essen, muss ich dem Arbeitshaus einen Besuch abstatten, Stephen. Wie wär’s, wenn Sie mich begleiten und sich das Haus ansehen?«
    Das Arbeitshaus. Allein schon der Name konnte einem einen Schrecken einjagen. Es war eine englische Einrichtung, ein Zufluchtsort für jene, die ohne Arbeit waren und nicht mehr für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten. Geleitet wurde es von einem Verwaltungsrat, dem vor allem Gentlemen aus der Gegend angehörten. Das Gebäude lag im Norden der Altstadt und bot einen abschreckenden Anblick, aber O’Connell schien stolz darauf zu sein. »Es ist neu«, erklärte er, »und im Unterschied zu vielen solchen Häusern ist es sauber.«
    Sie traten durch ein großes Backsteintor in einen großen Hof. Es hätte auch eine Kaserne oder ein Gefängnis sein können. Links und rechts sah Stephen die verschiedenen Flügel des Gebäudes.
    Vielleicht lag es nur daran, dass es ein trüber Tag war, aber der ganze Ort erschien ihm trostlos: trostlos die Türen und Fenster, trostlos die Mauern, trostlos auch das dunkle Schieferdach, das sich unter einem blinden Himmel neigte.
    »Es wird streng nach englischem Vorbild geführt«, erläuterte ihm Charles. »Strikte Trennung. Männer, Frauen und Kinder werden voneinander ferngehalten. Gleich bei der Ankunft trennt man Männer von ihren Frauen und Mütter von ihren Kindern und schickt sie in verschiedene Blöcke. Man gibt ihnen gerade so viel zu essen, dass sie am Leben bleiben, nicht mehr.«
    »Das ist grausam. Ich frage mich, warum hier überhaupt jemand bleiben will.«
    »Das ist ja der Gedanke dabei. Auf Anordnung des Verwaltungsrats soll der Aufenthalt so unangenehm wie möglich bleiben. Da Kost und Logis frei sind, würde sonst halb Ennis versuchen, hier unterzukommen, und man würde die Leute nie wieder loswerden. Glauben sie jedenfalls.«
    Er seufzte. »Sie dürften nicht ganz Unrecht haben.«
    Doch einmal im Jahr, an Weihnachten, wurden die strengen Regeln des Arbeitshauses gelockert und alle Insassen zu einem gemeinsamen Weihnachtsessen zusammengebracht.
    Der Saal war groß. Die Insassen, mehrere hundert an der Zahl, waren überwiegend Männer, mit deutlich weniger Frauen und nur ein paar Kindern. Sie machten einen recht zerlumpten, aber sauberen Eindruck und saßen an langen, auf Böcke gestellten blanken Tischen. Während Stephen sich umsah, erschienen mehrere Mitglieder des Verwaltungsrats und zwei Geistliche, ein protestantischer und ein katholischer. Der Direktor sprach ein paar Worte des weihnachtlichen Trostes und gab den Befehl, ein Hoch auf die Königin auszubringen, dem pflichtschuldig nachgekommen wurde. Dann wurde das Essen aufgetragen, bestehend aus Fleisch, Kartoffeln und Kohl, was insofern vielleicht tröstlich war, als es bewies, dass hier in Ennis noch reichlich Nahrung vorhanden war, notfalls sogar für die Ärmsten der Armen.
    Zu Beginn des neuen Jahres, als seine schriftstellerische Arbeit getan war, kehrte Stephen nach Dublin zurück. Der Aufenthalt in Ennis war sehr aufschlussreich gewesen – und er hatte ihn ein wenig vom Verlust Carolines abgelenkt. Aber er hatte ihm keinen Seelenfrieden gebracht. Ganz im Gegenteil. Sein Leben hatte den Sinn, den es gehabt zu haben schien, verloren, und er wusste nicht, was er tun sollte.
    ***
    Stephen war ziemlich überrascht, als er im März einen Brief von Mr Knox erhielt. Wen dieser nimmermüde Gentleman einmal in seinen Fängen hatte, den ließ er offenbar so schnell nicht wieder los. Doch obwohl Stephen in Dublin sehr viel zu tun hatte, musste er oft daran denken, was er in Ennis gesehen hatte. Nachdem er den Brief gelesen hatte, war ihm klar, warum ihm der Zeitungsbesitzer geschrieben hatte. Und da er noch am selben Tag Lord Mountwalsh sehen sollte, nahm er den Brief mit.
    Das große Haus am St. Stephen’s Green war stets ein gastlicher Ort, doch heute war dort nur eine kleine Gesellschaft versammelt, darunter auch Dudley Doyle, der Stephen nun, da seine Tochter unter der Haube und vor ihm sicher war, ausgesprochen freundlich behandelte.
    William Mountwalsh blickte amüsiert, als Stephen erzählte, dass er einen Brief von Mr Knox bekommen habe. »Ach, Sie kennen ihn?«, fragte Stephen.
    »Wir alle kennen Mr Knox«, antwortete der Earl schmunzelnd. »Aber lassen Sie hören, was er zu berichten hat.«
    Stephen las

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