Die Rebellen von Irland
Kopf.
»Vorsicht, meine Herren«, rief er. »Vorsicht. Sie können billige Nahrungsmittel einführen wie etwa Maismehl. Sie können auch das Angebot erhöhen, um die Preise zu drücken. Aber subventionieren Sie niemals Nahrungsmittel. Die Versuchung ist groß, aber Sie dürfen es nicht tun. Damit schädigen Sie den Markt. Das wäre der falsche Weg.« Er wandte sich an Stephen. »Sie sind doch ein Whig. Ich zähle auf Ihre Unterstützung.«
»Ich weiß nicht«, sagte Stephen.
Der schlimmste Moment, so dachte Maureen, war der am St. Patrick’s Day gewesen. Sie hatten von dem Mann gehört, der mittags ermordet worden war.
Es war direkt vor der Stadt geschehen. Niemand schien zu wissen, wer es getan hatte, doch andererseits war auch niemand sonderlich überrascht. Der Mann war ein Agent, und jedem war bekannt, dass er Pächter vertrieben hatte.
Maureen konnte nicht begreifen, wie Menschen so grausam sein konnten. In einer Zeit, in der alle zu leiden hatten, wurden immer noch Bauern von Haus und Hof verjagt. Ihr Vater indes schien sich damit abzufinden. »Wegen der Verknappung können die Agenten noch höhere Pachtzinsen für das Land herausholen, und die Bauern, die ganz auf Kartoffeln setzen, können unter Umständen überhaupt keine Pacht bezahlen.« Er seufzte. »So ist das nun mal. Wenn der Grundherr darauf besteht, einen möglichst hohen Gewinn einzustreichen, kann man dem Agenten eigentlich keinen Vorwurf machen.«
»Ich schon«, sagte Maureen.
Und dieser Ansicht waren aller Wahrscheinlichkeit nach auch einige der vertriebenen Pächter, denn der Mann war tot am Straßenrand liegen gelassen worden.
Maureen hatte mit ihrem Vater auf dem Marktplatz vor dem Gerichtsgebäude gestanden, als sie Callan bemerkte. Er saß auf seinem Pferd, und es sah so aus, als sei er gerade angekommen. Ihr fiel auf, dass er sehr blass war. Er stierte auf das Pflaster, und er schien Selbstgespräche zu führen. Dann hob er den Kopf und ließ den Blick über den Marktplatz wandern. Er entdeckte die Maddens und starrte zu ihnen herüber. Maureen erwiderte seinen Blick und sah zu ihrer Überraschung, dass seine Augen voller Angst waren.
Er konnte es nicht verbergen. Er hatte Angst. Sie begriff, was er denken musste. Würde ihr Vater oder jemand wie er ihn im Frühjahr ermorden und am Straßenrand liegen lassen? Sie wusste ganz genau, dass ihr Vater so etwas niemals tun würde, aber wenn der kleine Callan jetzt Angst hatte, umso besser. Er sollte ruhig leiden. Sie schlug die Augen nicht nieder, sondern hielt unerschrocken seinem Blick stand. Und dann, als er begriff, dass sie ihn herausforderte, wich die Angst in seinen Augen langsam einem Ausdruck des Hasses.
Etwas später, als sie auf dem Nachhauseweg waren, ritt der Agent, von hinten kommend, an ihnen vorbei. Dabei drehte er sich um und warf ihrem Vater einen bösen Blick zu, der zu sagen schien: »Ihr wollt meinen Tod, aber ich töte euch zuerst.«
Noch lebhafter erinnerte Maureen sich an jenen anderen Moment, später zu Hause. Es war kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Draußen kam ein eisiger Wind auf, und die Kinder drängten sich um das Torffeuer, doch ihr Vater war in den Vorratsraum am anderen Ende des Cottage gegangen. Er hielt eine Laterne in der Hand und betrachtete ihren geschrumpften Kartoffelvorrat, der an der Wand auf einem Haufen lag. Als der Lichtschein auf sein breites Gesicht fiel, bemerkte sie, wie tief seine Sorgenfalten waren. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Er nickte, sagte aber nichts. Dann sah er sie an.
»Die wollte ich eigentlich noch verwenden«, sagte er ruhig. »Ich habe es dir nicht erzählt, aber ich kenne einen Mann, der ein Feld hat. Ich spreche nicht von mock ground, wo man dafür bezahlen muss, dass man ein bereits bepflanztes Feld ernten darf. Er würde mir erlauben, es selbst zu bepflanzen und zu ernten wie mein eigenes.« Er deutete auf die Kartoffeln vor ihnen. »Das sollten die Saatkartoffeln sein. Aber ich traue mich nicht, es zu tun, Maureen, denn ich weiß nie, ob ich Arbeit bekomme, und die Preise auf dem Markt … Um die Wahrheit zu sagen, es macht mir Angst. Deshalb werden wir diese Kartoffeln nicht pflanzen, sondern essen. Du musst zusehen, dass sie uns so lange wie möglich reichen.« Er schüttelte den Kopf, und dann sagte er mit einer Stimme, in der sich Trauer und Verbitterung die Waage hielten: »Und das ist Irland am St. Patrick’s Day.«
Am nächsten Tag rückte eine Kompanie des 66. Regiments in Ennis ein, um die
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