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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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auf die Landschaft vor ihnen. »Da, Sir«, sagte er triumphierend, »was halten Sie davon?«
    Stephen blickte nach Norden, aber er sah nur ödes Marsch- und Sumpfland, das sich meilenweit hinzog. Im Dezemberlicht wirkte es trostlos und unendlich traurig.
    »Das da?«
    »Ein Sumpf der Verzweiflung, könnte man meinen«, sagte Knox. »Aber darunter liegt das Paradies.«
    »Sie meinen, Sie wollen ihn trockenlegen?«
    »Genau. Der Boden unter den Marschen, Mr Smith, ist sehr fruchtbar. Fast so gut wie Corcass. Ein riesiger Vorrat. Hier könnte man genug Getreide für ganz Ennis anbauen.« Er seufzte. »Was Sie hier sehen, Mr Smith, ist sinnbildlich für Irland: ein Land der ungenutzten Naturschätze.«
    »Unser Land ist reich«, pflichtete Stephen bei.
    »Und unser Volk, Sir. Die Iren lernen schnell, sind intelligent und arbeiten hart. Das englische Vorurteil, sie seien begriffsstutzig und faul, ist eine böswillige Verleumdung. Das Gegenteil ist wahr. Doch was haben wir hier in Clare? Menschliche Arbeitskräfte, so ungenutzt wie dieser Sumpf, und unnötigerweise in einem ebenso beklagenswerten Zustand.«
    »Ich nehme an, Sie nutzen Ihre Zeitung als Sprachrohr für Ihre Forderungen, Mr Knox«, sagte Stephen, als sie später nach Ennis zurückfuhren.
    »So wie ich diese Ideen in gedruckter Form verbreite, so schreibe ich auch direkt an die Dubliner Stellen, Mr Smith«, antwortete Knox, »und ich werde nie aufgeben.«
    Mitte des Monats besuchte Mr Wilson, der berühmte Phrenologe, die Stadt und stellte in der Church Street seine Dienste zur Verfügung. Die besseren Leute waren von ihm fasziniert. Anhand einer gründlichen Untersuchung der Schädelform eines Menschen vermochte er ein exaktes und wissenschaftliches Bild seines Charakters und seiner Geistesgaben zu erstellen. »Da er fünf Shilling verlangt«, bemerkte Charles O’Connell, »was fünf oder sechs Tageslöhnen eines einfachen Arbeiters entspricht, werden wir nie etwas über den Charakter der Armen erfahren. Aber ich finde, Sie und ich sollten es probieren, Stephen.«
    Nur widerstrebend ließ sich Stephen dazu überreden, in Mr Wilsons Stuhl Platz zu nehmen. Der Gentleman untersuchte ihn mittels Maßbändern, Greifzirkeln, Schrauben und Betasten und verkündete schließlich: »Wussten Sie, Sir, dass Sie einen außergewöhnlichen Wohltätigkeitshöcker haben?«
    »Der muss mir seit meiner Kindheit gewachsen sein«, erwiderte Stephen trocken.
    Ungefähr eine Stunde später, als er allein durch die Stadt streifte, begegnete er der jungen Frau. Sie stand vor dem Gerichtsgebäude. Drinnen gab ein weiterer Besucher der Stadt, der Kinderstar Miss Heron, eine Vorstellung. Stephen hatte eigentlich nicht dorthingehen wollen, aber er wusste, dass der Saal ausverkauft war, auch die billigen Plätze auf der Galerie für die Armen.
    Die junge Frau war blass und unscheinbar und hielt einen kleinen Jungen an der Hand. Da Stephen nichts Besseres zu tun hatte, blieb er stehen und fragte sie, was sie hier mache.
    »Meine Schwester hat Karten für die Vorstellung gekauft, Sir«, antwortete sie. »Meine Vater und meine Schwestern sind mit ihr drin. Es ist eine Weihnachtsüberraschung.«
    »Wollten Sie selbst nicht hinein?«
    »Sie hatte nur vier Karten, Sir. Ich warte gern hier draußen mit meinem kleinen Bruder.«
    Er fragte sie, woher sie komme, und sie erzählte ihm kurz ihre Geschichte.
    »Es tut mir leid, dass Sie Ihr Land verloren haben«, sagte er.
    »Es gibt viele wie uns«, erwiderte sie. »Und uns geht es noch recht gut, nicht wahr, Daniel?«, sagte sie und schenkte dem kleinen Jungen ein freundliches Lächeln.
    Sie gefiel Stephen, obwohl sie nicht hübsch war. Sie hatte etwas Natürliches und Gutherziges an sich.
    »Ich wünsche Ihnen mehr Glück im neuen Jahr«, sagte er und ging weiter.
    Einige Zeit später stand er am Fenster in Charles O’Connells Haus und sah das Mädchen und ihre Familie die Straße entlanggehen. Hatte er den großen Mann, der ihr Vater sein musste, nicht schon irgendwo gesehen? Möglich. Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber er hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Gesichter. Ihm war, als hätte er ihn an jenem denkwürdigen Tag vor ein paar Jahren in der Menge gesehen, die zur Wahl marschiert war und der Father Murphy eine flammende Rede gehalten hatte. Ihre Schwestern machten einen recht lebhaften Eindruck. Besonders eine fiel ihm auf. Ein ungewöhnlich hübsches junges Ding. Er sah ihr nach. Es war wirklich verblüffend, dass eine

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