Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Frauenkleidung und mit geschwärztem Gesicht, der unvermittelt vor einem auftauchte. Wer die Warnung ignorierte, musste mit Konsequenzen rechnen.
    »Sieh dich vor«, sagte die Gestalt. Dann drehte sie sich um, schritt die Straße entlang, bog um eine Kate und verschwand in der Dunkelheit.
    Stephen setzte seinen Heimweg fort.
    Der nächste Tag verlief ohne Zwischenfall. Kurz erwog er, den Vorfall zu melden, aber nach dem, was der Captain ihm mitgeteilt hatte, sah er davon ab. Falls die Männer des Arbeitstrupps wussten, dass er bedroht worden war, so ließen sie sich nichts anmerken. Der übernächste Tag verlief ebenso ereignislos. Am dritten arbeitete er nicht. Aber er hatte einen Entschluss gefasst. Er musste zwei wichtige Dinge erledigen.
    Gleich am Morgen machte er sich zu Fuß auf den Weg und ging mit zügigen Schritten in die Vorstadt im Norden. Er fand die Kate, die er suchte, ohne Mühe. Er ging zur Tür. Sie stand offen, und er streckte den Kopf hinein.
    »Gott schütze alle hier«, entbot er den traditionellen Gruß, als er eintrat.
    Eamonn Madden war über sein Erscheinen sehr überrascht. Er saß mit hängendem Kopf auf einem Schemel vor der Glut eines kleinen Torffeuers. Neben ihm stand die unscheinbare junge Frau, seine Tochter.
    »Darf ich mich setzen?« Am Feuer stand auch eine Bank. Er ließ sich darauf nieder.
    »Wir können Ihnen nichts anbieten, Sir«, sagte die Frau.
    »Ich weiß.«
    Die Tür blieb offen. Zusätzliches Licht, wenn man es so nennen konnte, drang durch das einzige Fenster. Es hatte keine Glasscheibe, sondern war, wie hierzulande üblich, mit einer dünnen Schafshaut bespannt, die etwas Helligkeit durchließ und den Wind abhielt. Trotz des gedämpften Lichts konnte er sehen, dass der Raum mit seinem irdenen Fußboden tadellos sauber war. An einer Wand hing ein billiger Druck der Heiligen Jungfrau, an einer anderen ein Bild von Daniel O’Connell. Er betrachtete die Frau. Wie alt mochte sie sein? Mitte zwanzig, vermutete er, aber ihr Gesicht war ausgezehrt vom Hunger und den Belastungen des Alltags. Doch wie ihr Vater hatte sie sich eine ruhige Würde bewahrt. »Wissen Sie, wer ich bin?«, fragte er, und sie nickte. »Darf ich fragen, wie Sie heißen?«
    »Ich heiße Maureen Madden.«
    »Darf ich erfahren, wie viele Mitglieder die Familie noch hat? Ich entsinne mich, dass Sie einen kleinen Bruder dabeihatten, als ich Sie seinerzeit auf dem Marktplatz traf.«
    »Er heißt Daniel, Sir. Außerdem wohnen hier noch meine Schwestern Mary und Caitlin. Meine andere Schwester, Nuala, arbeitet bei einer Familie in der Stadt.«
    »Könnte ich die anderen Kinder sehen?«
    »Sie haben sich hingelegt, Sir. Sie schlafen zusammen, um sich warm zu halten.«
    »Sie schlafen um diese Tageszeit?«
    »Es ist kalt draußen. Und sie sind nicht bei Kräften.« Sie ging nach nebenan. Madden warf ihm einen Blick zu, sagte aber nichts, und auch Stephen schwieg.
    Gleich darauf kam Maureen mit den drei Kindern zurück. Sie waren blass und mager, aber am meisten fiel ihm auf, dass sie sich merkwürdig langsam bewegten. Ihre Augen waren blicklos. Das konnte auch daran liegen, dass sie geschlafen hatten, aber er glaubte es nicht. Die drei sahen ihn teilnahmslos an, der kleine Junge mit großen, vorwurfsvollen Augen.
    »Wie viele Mahlzeiten am Tag haben sie bekommen?«
    »Eine, Sir. Bis jetzt, solange Vater gearbeitet hat.«
    »Was geben Sie ihnen zu essen?«
    »Was ich auftreiben kann. Kartoffeln gibt es nicht mehr. Manchmal bekommt man Maismehl oder anderes Getreide. Manchmal auch Rüben und etwas Brunnenkresse.«
    »Und wie verbringen Sie die Zeit mit ihnen?«
    »Ich lese ihnen vor. Und unterrichte sie.«
    »Dann können Sie also lesen und schreiben.«
    »Ja, Sir. Daniel kennt schon alle Buchstaben, nicht wahr, Daniel?« Der Junge nickte. »Er malt sie mit dem Finger auf den Tisch. Ich passe genau auf und kann sehen, ob die Buchstaben korrekt sind.«
    »Danke. Wenn die Kinder sich wieder hinlegen wollen, würde ich jetzt gern mit Ihrem Vater sprechen.«
    Als sie allein waren, wandte er sich an Eamonn.
    »Das ist also alles an Lebensmitteln, was Sie von Ihrem Lohn kaufen können?«
    »Kaufen konnte.«
    »Verstehe. Ihre Kinder siechen dahin.«
    »Was weiß ein Gentleman wie Sie schon über Menschen wie uns?«
    »Sagen Sie das nicht. Meine Familie ist Ihrer ähnlicher, als sie glauben.« Und Stephen erzählte ihm kurz von seinen Angehörigen und den Verhältnissen oben in Rathconan.
    »An labhraionn tu gaeilge?«

Weitere Kostenlose Bücher