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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Marktplatz. In der Woche vor Weihnachten waren es schon doppelt so viele. Ohne den kargen Lohn, den ihr Vater nach Hause brachte, hätte sie möglicherweise selbst betteln gehen müssen. Deshalb dachte sie oft in Dankbarkeit an Mr Smith. Und sie erfuhr etwas Neues über ihn.
    Eines Tages kam ihr Vater nachdenklich nach Hause.
    »Ich habe heute Charles O’Connell getroffen. Hast du gewusst, das Mr Smith, bevor er hierher kam, zwanzig Jahre lang ein enger Weggefährte Daniel O’Connells war? Ich hatte ja keine Ahnung. Er hat nie ein Wort gesagt.« Er lächelte verlegen. »Wenn ich daran denke, dass ich …« Er sprach nicht weiter.
    »Was, Vater?«
    »Unwichtig. Ich sehe den Mann jetzt mit anderen Augen, das ist alles.«
    Maureen schwieg einen Moment und bekam einen versonnenen Blick.
    »Er ist ein sehr feiner Mann«, sagte sie gefühlvoll.
    Sie bemerkte nicht, dass ihr der Vater einen neugierigen Blick zuwarf.
    Doch selbst mit dem Lohn ihres Vaters war es nicht leicht, etwas auf den Tisch zu bringen. Momentan gab es auf dem Markt fast nichts. Etwas Maismehl zu einem unverschämten Preis, ein paar Rüben und Salz, mehr war nicht zu bekommen. »Im Arbeitshaus sind sie nicht besser dran«, sagte ihr Vater. »Angeblich fällt diesmal das Weihnachtsessen aus. Nicht einmal der Verwaltungsrat kann etwas beschaffen.«
    An Heiligabend kam Nuala. Wenigstens sie war gut genährt, allerdings erzählte sie Maureen, dass die Kaufmannsfamilie jetzt an den meisten Tagen mit Eintopf vorliebnehmen musste. Maureen bemerkte, dass Nuala verschmitzt lächelte.
    »Ich habe etwas mitgebracht«, sagte sie und zauberte aus den Falten ihrer Kleider eine kleine Taschenflasche. »Die habe ich mir geborgt«, sagte sie. »Sie werden nichts merken.«
    »Was ist darin?«
    »Brandy.« Nuala grinste. »Für den Herrn des Hauses.« Sie grinste durchtrieben. »Und das ist noch nicht alles.« Sie fasste wieder in ihre Kleider, tastete einen Moment umher und zog dann ganz langsam eine, dann noch eine und schließlich mit schwungvoller Gebärde eine dritte Kartoffel hervor.
    »Mein Gott, Nuala, wie bist du denn …?«
    »Es sind nur Lumper-Kartoffeln, Maureen. Komisch, nicht? Die schlechteste Sorte. Früher hätte man die nicht einmal angesehen. Und jetzt komme ich mir vor wie die Königin von Saba, die Salomo Geschenke bringt.«
    »Ja, aber …«
    »Ich habe sie gestohlen, was denn sonst? Ich habe sie im Keller gefunden. Aber es hat bestimmt niemand gewusst, dass sie da waren. Sie müssen übersehen worden sein. Sie sind alt, aber sie sind nicht verdorben. Na ja, nicht ganz.«
    »Aber Nuala, wenn sie merken …«
    »Niemals.«
    »Du wirst deine Stellung verlieren.«
    »Und wenn schon?« Sie lachte. »Dann verkaufe ich eben meinen Körper, unten am Gericht.«
    »So etwas darfst du nicht sagen.«
    »Willst du sie jetzt kochen?«
    »Mein Gott, Nuala. Ja.« Sie küsste ihre Schwester. »Sag Vater nicht, wo du sie her hast. Sag, du hättest sie gekauft.«
    Es wurde bereits dunkel, doch ihr Vater war noch nicht nach Hause gekommen. Stunden vergingen, und noch immer war nichts von ihm zu sehen. Langsam machten sich Maureen und Nuala Sorgen.
    »Glaubst du, er ist in eine Schenke gegangen?«, fragte Nuala. »Ich sehe jeden Tag Männer, die von der Arbeit kommen und in der Stadt ihren Lohn vertrinken.«
    »Vater? Niemals!« Maureen schüttelte den Kopf. »Gebe Gott, dass ihm nichts zugestoßen ist«, sagte sie so leise, dass die Jüngeren es nicht hören konnten.
    Dann kam er endlich. Er trug etwas unter dem Mantel. Kaum in der sicheren Stube, zog er es hervor und legte es auf den Tisch. Es war ein großes Stück Fleisch.
    Sie sahen ihn erstaunt an.
    »Vater, woher hast du denn …?« Maureen war vor Schreck erbleicht.
    »Machst du uns einen Weihnachtsbraten, Maureen?«, fragte er in einem selbstzufriedenen Ton.
    »Aber woher hast du das Fleisch?«
    »Als ich es zuerst sah, hing es noch an einer Kuh dran. Das dürfte etwa zwei Stunden her sein.«
    »Du hast eine Kuh geschlachtet?«
    »Wir waren über ein Dutzend. Jetzt ist von dem Tier nichts mehr übrig. Was man nicht essen kann, haben wir vergraben.«
    Es hatte zahlreiche Vorfälle dieser Art gegeben. Männer gingen nach Einbruch der Dunkelheit hinaus auf die Weiden, schlachteten eine Kuh, zerlegten sie an Ort und Stelle, teilten das Fleisch unter sich auf und verschwanden in der Nacht.
    Doch es dauerte eine Weile, bis Maureen begriff, dass ihr Vater ein Verbrechen begangen hatte. »Dafür kann man deportiert

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