Die Rebellen von Irland
das Beste halten. Wir haben unten in Limerick Depots. Die Lieferungen würden also von dort kommen.«
»Ich bete zu Gott, dass Sie sich dazu entschließen«, sagte Stephen. »Im Herbst werden wir hier vor gewaltigen Problemen stehen.«
Nachdem sie eine Zeit lang darüber diskutiert hatten, wechselte Tidy das Thema und fragte O’Connell nach der bevorstehenden Wahl, da er wusste, dass ihr Gastgeber sich brennend dafür interessierte.
»Das wird mit Sicherheit eine aufregende Sache«, sagte er. »Die städtischen Wahlbezirke machen den Anfang, und hier ist alles bereits entschieden. Einer der Kandidaten ist O’Gorman Mahon, der anno ’28 für meinen Cousin als Antragsteller fungiert hat. Die hiesigen Geschäftsleute lieben ihn. Er ist total verrückt. Weiß der Himmel, was der in London anstellen wird. Aber sein Gegner ist schon so am Boden, dass er die Kandidatur zurückziehen will. Danach kommen die Wahlen auf dem Land. Ein Sitz ist bereits vergeben, aber der Kampf um den zweiten wird interessant. Denn es kandidiert kein geringerer als Sir Lucius O’Brien.« Er grinste. »Und ich fungiere als sein Agent.«
Als wichtigster Repräsentant dieses mächtigen Clans, direkter Nachfahr von König Brian Boru und Eigentümer des riesigen Anwesens Dromoland Castle, das in Richtung Limerick lag, war Sir Lucius einer der bedeutendsten alten Prinzen Irlands, die es im Westen noch gab.
Allerdings war er ein Tory, daher unterstützte er England.
»Ich muss zugeben, dass seine Ansichten ein Problem darstellen«, sagte Charles O’Connell, »denn sie laufen allem zuwider, wofür mein Cousin eingetreten ist und was die Wähler hier wollen – dennoch glaube ich, dass wir siegen werden.«
»Und wie wollen Sie das schaffen?«, fragte Stephen.
»Er ist sehr leutselig«, antwortete O’Connell. »Und er war nie ein Mann, der in der Öffentlichkeit auf seinem Standpunkt herumreitet und sich eindeutig festlegt. Man könnte sagen, dass ihn eine vornehme Zweideutigkeit umgibt. Wir arbeiten zurzeit an ein paar Reden, die den Eindruck erwecken sollen, dass er stärker für eine Auflösung der Union ist, als man bisher geglaubt hat. Außerdem ist Sir Lucius O’Brien ein schwerreicher Mann. Er wird viel Geld unter die Leute bringen.«
»Wenn Sie in Ennis die Stimme eines Mannes haben wollen, müssen Sie dafür zahlen. Das ist hier nicht anders als in England. Und in Amerika, soweit ich weiß.«
»Es tut mir leid, das zu hören.«
»Außerdem müssen Sie die Folgen der Hungersnot berücksichtigen«, fuhr O’Connell fort. »Unsere Kaufleute hatten alle schwer unter ihr zu leiden. Man kann ihnen schwerlich einen Vorwurf daraus machen, dass sie jede Gelegenheit nutzen, etwas Geld zu verdienen. Zurzeit stehe ich in Verhandlungen mit der Kaufmannschaft.«
Tidy blieb noch zwei Tage in der Gegend. Er und Stephen führten noch ein weiteres Gespräch und vereinbarten, sich brieflich darüber zu verständigen, was nach der Wahl für die Armen in Ennis getan werden könne.
Die Gesichter der Menschen, die in die Suppenküchen kamen, wurden Stephen bald vertraut. Ohne darüber nachzudenken registrierte er, wer krank geworden oder verschwunden war. Fieber, Durchfall und Ruhr forderten unablässig Opfer, insbesondere unter den Kindern. Er wusste, wie viele in den Spitälern starben, daher konnte er sich eine ungefähre Vorstellung von der Zahl der Todesfälle in der Stadt machen, aber wer wusste, wie viele draußen auf dem Land dahingerafft wurden? Sein einziger Trost war, dass die Sterblichkeitsziffer ohne die Suppenküchen ungleich höher gewesen wäre.
Zu seinem Bedauern erfuhr er im Mai vom Tod Eamonn Maddens. Zwei Monate später sah er, dass Maureen sehr niedergeschlagen war. Obwohl er sonst zu den Menschen, die in die Suppenküchen kamen, keinen engen Kontakt pflegte, der alles nur noch komplizierter machte, trat er auf Maureen zu und fragte sie, ob etwas geschehen sei.
»Meine Schwestern Mary und Caitlin sind beide letzte Woche gestorben, Sir«, antwortete sie. »An der Ruhr.«
»Haben Sie noch Ihren kleinen Bruder?«
»Ja, Gott sei Dank. Den kleinen Daniel und meine Schwester Nuala.«
»Arbeitet sie?«
»Sie hilft gelegentlich bei einer Wäscherin aus, mehr nicht.«
Stephen sah Maureen jeden Tag, oft mit dem kleinen Jungen an der Hand. Ohne dass sie es ahnte, wurde sie für ihn ein Symbol der Hoffnung, dass in diesem ganzen Elend das Gute noch weiterlebte und seine Arbeit nicht gänzlich vergebens war.
***
Die Wahl hielt
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