Die Rebellen von Irland
innehat?«
»Vielleicht. Nur einen unbedeutenden Iren, der sicherlich keine Besitzurkunde vorweisen kann.«
»Dürfte ich fragen, aus welchem Grund Sie mit dieser Angelegenheit an mich herantreten?«
»Man sagte mir, dass Sie sich mit dem Grundbesitz in diesem Landesteil besser auskennen als jeder andere Mann, Sir.«
Das traf tatsächlich zu. Seit den Tagen der Plantagenets, lange bevor Heinrich Viii. die Klöster aufgelöst hatte, hatten fünf Generationen von Martin Walshs Vorfahren die Rechtsangelegenheiten der kirchlichen und säkularen Landbesitzer im gesamten Osten Irlands betreut. Die Familie kannte beinahe jeden Grundbesitz in Leinster und Meath, und dazu noch viele in Ulster und Munster. Dieses Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Auch Martin vermittelte es Orlando auf seine sanfte Art bereits seit einigen Jahren. Wenn Pincher jemanden suchte, der diskret Nachforschungen über Rathconan anstellen sollte, dann war er zum besten Mann gekommen.
Walsh nickte. Dann lehnte er sich leicht nach vorn.
»Ich bin nur ein einfacher Advokat, Sir, und Sie sind ein Philosoph. Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen? Ich selbst bin nicht gelehrt genug, um sie zu beantworten.«
»Ich werde Ihnen gern helfen.«
»Nun«, sagte der Advokat leise. »Meine Frage betrifft eher Philosophie als Gesetze. Falls wir herausfinden, dass Brian O’Byrne nach strikter Auslegung des englischen Rechts keinen Anspruch auf Rathconan hat, würden Sie dann sagen, dass der Verlust, den der junge Mann erleiden wird, unser Gewissen belasten sollte?«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Warum?«
»Weil er es dann nicht ehrlich nach dem Gesetz besitzt, sondern nur nach einem barbarischen Brauch.«
»Einem Brauch der wilden Iren.« Walsh nickte. »Das wäre zweifellos der Fall. Und weil irische Bräuche barbarisch und widernatürlich sind, haben Iren keinen moralischen Anspruch auf unser Mitgefühl.«
»Sie haben es begriffen«, sagte Doktor Pincher hocherfreut.
Martin Walsh starrte ihn ausdruckslos an. Er hätte den Philosophen gern gefragt, ob Habgier also seiner Meinung nach keine Todsünde mehr sei. Aber er verkniff es sich. Stattdessen sagte er:
»Ich sollte Ihnen sagen, dass sogar in der Dubliner Burg einige Personen zur Vorsicht mahnen. Wenn der junge O’Byrne, wie ich vermute, der englischen Krone freundlich gesinnt ist, dann werden es diese Personen für klüger halten, ihm den Besitz, den er nach allgemeiner Ansicht rechtmäßig hält, zu lassen. Hier hat es keine Rebellion gegeben. Und O’Byrne hat auch nicht sein Land verlassen, im Gegensatz zu Tyrone. Diese Personen würden eine solche Enteignung als unklug bezeichnen, weil sie nur für Unruhe sorgen würde. Egal, wie das Gesetz lautet.« Genau diesen Rat hätte er auch der englischen Regierung selbst gegeben.
»Aber Sie und ich denken hoffentlich anders darüber«, sagte Pincher.
Walsh fragte sich, ob dieses Gespräch womöglich eine Falle war. Hatte die Regierung oder irgendeine Gruppierung Pincher geschickt, um seine Ansichten und das Ausmaß seiner Loyalität zu überprüfen? Möglich, aber unwahrscheinlich.
Nein, seiner Meinung nach waren Doktor Pinchers Worte völlig aufrichtig. Selbst nach siebzehn Jahren in Irland war der Trinity-Gelehrte noch so sehr von seinen Vorurteilen verblendet, dass er wirklich glaubte, er, Martin Walsh, werde ihm helfen, seinen irischen Glaubensbruder O’Byrne zu enteignen, nur weil er selbst ein Altengländer war. Hatte Pincher denn gar keine Ahnung von dem seltsamen, gegenseitigen Respekt zwischen den Familien, der im Laufe der Jahrhunderte gewachsen war, in denen die Walshs aus Carrickmines immer wieder die Überfälle der O’Byrnes zurückschlagen mussten? Wusste er denn nicht, dass in den Adern des jungen Brian O’Byrne einige Tropfen Walsh-Blut flossen, oder dass seine eigene Tochter Anne mit einem Mann verheiratet war, der zwar Walter Smith hieß, aber vermutlich ein uneheliches Kind O’Byrnes war? Aber nein, natürlich wusste Pincher nichts über so tief verflochtene Wurzeln.
»Ich werde Nachforschungen anstellen«, erwiderte Walsh. »Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass diese Angelegenheit zu Ihrer Zufriedenheit geregelt werden kann.«
Bald darauf verabschiedete sich Simeon Pincher. Walsh würde ihm schreiben, sobald es Neuigkeiten gab.
***
Am frühen Nachmittag rief Martin seinen Sohn zu sich und lud ihn zu einem Spaziergang ein.
»Wohin gehen wir, Vater?«, fragte Orlando.
»Nach
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