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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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den ersten Wintermonaten kam er nicht so häufig nach Dublin, doch Anfang März gaben die Tidys in ihrem Haus eine kleine Gesellschaft, an der er teilnahm, und dabei sangen Mrs Tidy und Maureen zusammen am Klavier. Mrs Tidy verfügte über einen gefälligen Sopran, aber Maureen, so stellten sie fest, hatte eine wunderschöne Altstimme. Das lange Kleid, das sie von Mrs Tidy bekommen hatte, gereichte ihrem Aussehen sehr zum Vorteil. Als Stephen warmen Applaus spendete und zu ihr sagte, dass er gar nicht gewusst habe, wie gut sie singen könne, antwortete sie einfach nur: »Ich hatte lange nicht mehr gesungen, Mr Smith. Aber ich versichere Ihnen, dass wir seit Weihnachten geübt haben.«
    Später, als er sich länger mit ihr unterhielt, ließ er die Bemerkung fallen, dass es eine Freude sein müsse, seine Talente nutzen zu können.
    »Da stimme ich Ihnen zu. Sie haben doch so viele Talente, Mr Smith. Haben Sie das Gefühl, dass Sie alle nutzen können?«
    »So viele sind es gar nicht, glauben Sie mir.« Er dachte einen Augenblick nach. Es stimmte, dass seine Arbeit als Lord Mountwalshs Agent viele Fähigkeiten verlangte, sie war ebenso anspruchsvoll wie befriedigend. Er lächelte sie an. »Ich glaube, ich nutze die meisten.« Maureen war, dachte er, eine kluge Frau.
    »Ich glaube«, raunte ihm Tidy später zu, »Maureen besitzt eine besondere Art von Schönheit, eine Schönheit des Geistes und der Persönlichkeit.«
    »In der Tat«, erwiderte Stephen höflich.
    Nachdem er gegangen war, sagte Mr Tidy zu seiner Frau: »Ich glaube, wir sind ein Stück weitergekommen.«
    »Vielleicht. Bei ihm ist das schwer zu sagen.«
    »Sie hat ihm gezeigt, dass sie ihn mag, glaube ich.«
    »Auf meinen Rat hin.«
    »Aber ich glaube nicht, dass er es weiß. Vielleicht sollte sie mehr tun.«
    »Nein, Samuel, das darf sie nicht. Jetzt ist er am Zug. Er muss zeigen, dass er Interesse hat, sonst kann sie nichts tun.«
    Im April kam er wieder. Es war ein schöner Tag. Frühlingsblumen blühten entlang dem Treidelpfad, und Mrs Tidy schlug ihm vor, mit Maureen einen Spaziergang zu unternehmen. Da Stephen schon den ganzen Tag hin und her überlegte, ob er ihr sagen sollte, was er in Erfahrung gebracht hatte, stimmte er bereitwillig zu. Sie schlenderten auf dem Pfad etwa eine Meile nach Westen, ohne viel zu sprechen, dann machten sie kehrt und gingen denselben Weg zurück. Die Sonne war angenehm warm.
    »Sie sind heute recht schweigsam, Mr Smith«, wagte Maureen zu äußern.
    »Ich bin in Gedanken. Sie haben Recht.«
    »Wollen Sie mir etwas sagen?«
    Wollte er? Die Auskunft, die er erhalten hatte, war nicht eindeutig. Eine junge Frau namens Nuala, auf welche die Beschreibung passte, war in einer Gemeinde in der Grafschaft Cork, unweit der Grenze zu Wexford, tot aufgefunden worden. Sie war an einem Fieber gestorben. Aber sollte er ihr das wirklich sagen? Das Ganze war sehr vage. Würde es ihr helfen oder würde er sie damit nur unnötig quälen? Auf dem ganzen Hinweg hatte er sich nicht zu einem Entschluss durchringen können. Er starrte eine Weide an.
    »Es könnte sein, dass Nuala tot ist«, sagte er schließlich. »Aber ich weiß es nicht mit Gewissheit.«
    »Oh.« Sie wirkte ein wenig verblüfft. »Ich verstehe.« Wie blass sie aussah. Wie bitter enttäuscht. Er hätte es ihr nicht sagen sollen. »Ich muss Ihnen für all die Mühe danken, die Sie meinetwegen auf sich genommen haben«, sagte sie mit stiller Würde. »Haben Sie noch mehr Neuigkeiten für mich?«
    Er berichtete ihr alles, was er wusste.
    Sie gingen noch eine Weile schweigend nebeneinander her, dann begann sie zu weinen, und da er nicht wusste, was er tun sollte, legte er den Arm um sie.
    »Es tut mir leid«, sagte er, »aufrichtig leid.«
    Zwei Tage später, als er wieder vorbeischaute, bevor er nach Wexford zurückkehrte, überraschte sie ihn erneut mit ihrer Fähigkeit, Schicksalsschläge wegzustecken. Er fand sie nicht nur sehr gefasst, sondern er stellte auch fest, dass sie die Zeitung gelesen hatte, und als er sie nach ihrer Meinung zur politischen Lage fragte, zeigte sie sich erstaunlich gut informiert. Und nicht nur das. Sie machte auch ein paar scharfsinnige und recht zynische Bemerkungen zum politischen Geschehen, die ihn, um ehrlich zu sein, weitaus mehr interessierten als ihre Back- oder Sangeskünste. Ihrem Gesicht mochte es an Anmut und Ebenmaß fehlen, aber es strahlte eine Intelligenz aus, die etwas sehr Einnehmendes hatte.
    Danach sah er sie einen Monat lang nicht.

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