Die Rebellen von Irland
Doch im Mai kam er wieder, und diesmal brachte er Neuigkeiten mit.
»Wir haben Ihren Bruder William gefunden. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. Er lebt in Boston. Anscheinend hat er versucht, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen, Sie aber nicht ausfindig machen können und angenommen, Sie seien entweder tot oder weggezogen. Ich habe seine Adresse, und auch die Ihres Onkels. Sie sind nicht gerade wohlhabend, aber sie haben Arbeit und sind bei guter Gesundheit.« Er lächelte. »Sie sind also nicht allein auf der Welt.«
Sie dankte ihm von Herzen, und am Abend aß er zusammen mit der ganzen Familie und freute sich über die glückliche Wendung.
***
Samuel Tidy durchlebte im Juni eine sehr schwierige Zeit. Die Gemeinschaft der Quäker, die sich mit ihrem Einsatz für das hungergeplagte Irland die Bewunderung aller Parteien erworben hatte, gab bekannt, dass sie ihre Hilfsmaßnahmen einstellen würde. War die Entscheidung richtig? Tidy hatte Zweifel.
»Eines dürfte gewiss sein«, sagte er zu seiner Familie. »Weder die Quäker noch sonst jemand hat die Mittel, um alle Hungernden zu speisen und allen Kranken zu helfen. Dazu ist nur die Regierung in der Lage. Die Probleme sind zu gewaltig für andere.« Und es galt noch einen weiteren Punkt zu berücksichtigen. »Solange die Regierung sich vormacht, dass andere die Probleme lösen, wird sie weiter die Hände in den Schoß legen, fürchte ich. Die Quäker können der Regierung nicht ewig als Alibi für ihre Versäumnisse dienen.« Das Argument leuchtete völlig ein, und doch war ihm unwohl dabei, und tagelang war er ziemlich kurz angebunden.
Am Ende des Monats hatte seine Frau eine Neuigkeit für ihn.
»Maureen will nach Amerika. Sie möchte zu ihrem Bruder.«
»Glaubst du, sie ließe sich umstimmen?«
»Wer weiß? Man kann es ihr nicht verdenken. Er ist der einzige Angehörige, den sie noch hat. Und einen besonderen Grund, hierzubleiben, hat sie nicht.«
»Hat sie ihrem Bruder geschrieben?«
»Sie will lieber gleich hinüber und ihn ausfindig machen.«
»Wann will sie fahren?«
»Sobald sie das Geld zusammen hat. Sie hat jeden Penny gespart, den sie von uns bekommen hat. Noch hat sie nicht genug, aber bald …«
»Vielleicht könnte ihr Entschluss Stephen dazu bewegen …« Er ließ den Satz unvollendet.
»Vielleicht.«
Er sah Stephen zwei Wochen später in Dublin und setzte ihn von dieser Entwicklung in Kenntnis.
»Wir werden sie vermissen, wenn sie tatsächlich gehen sollte, das muss ich sagen«, schloss Tidy.
Stephen blickte nachdenklich.
»Ja«, erwiderte er. »Ich werde sie auch vermissen.«
»Sie wollen sie doch bestimmt noch einmal sehen, bevor sie abreist.«
»Oh, gewiss.« Stephen runzelte die Stirn.
Eine Woche verstrich.
Dann traf eine Nachricht ganz anderer Art ein.
***
Als Königin Viktoria von England zwölf Jahre zuvor den Thron bestiegen hatte, war sie noch ein achtzehnjähriges Mädchen gewesen. Inzwischen war sie eine junge Frau von dreißig Jahren und mit ihrem deutschen Cousin Prinz Albert vermählt, mit dem sie bereits sechs Kinder hatte.
Sie waren ein charmantes junges Paar. Gewiss, so mancher fand Albert ein wenig ernst. Er trank wenig, verabscheute lästerliche Reden und glaubte leidenschaftlich an die Gabe des Menschen, sich und die Welt zu verbessern. Doch er und seine Frau waren einander in höchstem Maße zugetan und eifrig bemüht, in jeder Hinsicht das Richtige zu tun. Niemand zweifelte an ihren guten Absichten. Deshalb waren sie alles in allem recht beliebt.
So kam das britische Kabinett auf die Idee, dass das Königspaar im Sommer 1849 Irland einen Besuch abstatten sollte.
»Das wird für gute Stimmung sorgen und die Beziehungen verbessern«, glaubte die Regierung. »Und es wird beweisen, dass diese leidige Hungersnot so gut wie vorüber ist.«
Auf der Grundlage dieser erstaunlichen Behauptung sollte der Besuch im August stattfinden.
***
Stephen war selbst ziemlich überrascht, wie sehr ihn der Gedanke beschäftigte, dass Maureen fortgehen wollte. Er erklärte es sich damit, dass sie der einzige Mensch war, den er in Ennis in jenen schrecklichen Tagen hatte retten können. Zu einer Zeit, da ihn die anhaltende Krise in Irland und die umfangreichen Geschäfte, die er für den Earl abwickelte, ebenso stark in Anspruch nahmen wie früher die Politik, war es wie eine Konstante in seinem Leben erschienen, dass Maureen bei den Tidys wohnte und arbeitete. Er wollte nicht, dass sie ging. Und er verspürte den Wunsch, etwas für
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