Die Rebellen von Irland
Liverpool ablegten.
Als sie näher kamen, bot sich ihren Augen ein trübseliges Bild. Auf dem Quai, an dem die Schiffe festgemacht waren, herrschte das übliche Durcheinander von Fässern und Kisten, geschäftig hin und her eilenden Trägern und Fuhrleuten, müßig herumstehenden Passagieren und Seeleuten. Doch gleichzeitig bot sich ihnen auch ein trauriger Anblick.
Denn der Menschenhandel zwischen Irland und England war nicht einfach. Die Mehrzahl der Leute auf dem Quai waren Ausreisende. Die glücklicheren unter ihnen würden sich nach Amerika einschiffen und entweder in einer verhältnismäßig bequemen Kabine reisen wie Maureen oder aber auf dem Zwischendeck, wo sich der Aufenthalt während der langen Überfahrt als der Gesundheit zuträglich und sicher erweisen konnte oder auch nicht. Die weniger glücklichen, die nicht das nötige Kleingeld für ein Ticket nach Amerika hatten, fuhren nur bis Liverpool und zogen in die ärmeren Viertel dieser riesigen Hafenstadt oder in die einer anderen englischen Industriestadt, wo Hoffnung bestand, Arbeit zu finden.
Doch heutzutage gab es noch eine andere Gruppe, und sie war groß. Denn die Hungersnot hatte ein riesiges Heer von Hungernden und Kranken hervorgebracht. Und manche von diesen armen Teufeln schafften es bis Liverpool, durften dort aber nicht bleiben. Denn wenn die englischen Beamten sie in Augenschein nahmen und sahen, wen sie vor sich hatten – Männer und Frauen, die zum Arbeiten zu schwach waren und Krankheiten mitbrachten –, sagten sie zu den Kapitänen: »Nehmt sie wieder mit. Die können wir hier nicht gebrauchen.« Und so kehrten sie in ihr Geburtsland zurück und standen hilflos auf dem Quai, ohne einen Platz, wo sie schlafen konnten, ohne Aussicht, dem Elend zu entfliehen. Das geschah Tag für Tag.
Heute waren etwa zweihundert solcher Menschen auf dem Quai.
Ohne sie zu beachten, fuhr Tidy zu dem Dampfer, hielt aber hinter einem Stapel Kisten, sodass sie vom Schiff aus nicht gesehen werden konnten. Er blickte zu Stephen.
Stephen blieb sitzen. Er sagte kein Wort und rührte sich nicht. So verharrte er mehrere Minuten.
Dann kam wieder Bewegung in ihn. Tidy sah ihn an.
»Was werden Sie tun?«
»Ich werde sie holen.«
Tidy fasste Stephen am Arm.
»Sie sind sich Ihrer Sache sicher? Sie können es sich später nicht mehr anders überlegen, um ihretwillen. Sie hat genug gelitten.«
»Ganz sicher.« Stephen lächelte. »Wirklich.«
»Ich komme mit«, sagte der Quäker.
Sie gingen über das Fallreep an Bord des kleinen Dampfers und fanden Maureen an Deck. Sie blickte über den Liffey und sah sie nicht kommen; Da nicht mehr viel Zeit blieb, ging Stephen zu ihr, und nachdem er ihr mit wenigen Worten eröffnet hatte, dass er zärtliche Gefühle für sie empfinde und erkannt habe, dass er sie nicht für immer wegfahren lassen könne, fragte er sanft, ob sie seine Frau werden wolle. Sie starrte ihn an, fassungslos zuerst, nicht wissend, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Also fragte er sie noch einmal. Doch sie starrte ihn weiter nur an, sehr blass, wie betäubt. Da lächelte Tidy und sagte: »Alles ist gut.« Aber sie sagte noch immer nichts.
Was hätte sie auch sagen sollen? Vor einiger Zeit hatte sie im Haus der Tidys das Gefühl gehabt, dass ihre Wunden heilten. Sie hatte sich dem Leben wieder geöffnet und sogar zu hoffen gewagt. Aber das lag Wochen zurück. Seit damals war etwas in ihrem Innern still und leise wieder gestorben.
Dann entschuldigte sich Stephen dafür, dass er sie ausgerechnet in einem solchen Augenblick frage. Vielleicht brauche sie Zeit, um darüber nachzudenken. Und vielleicht könne sie auf der Fahrt nach Liverpool darüber nachdenken und ihm, wenn das möglich sei, ihre Antwort zukommen lassen, ehe das Schiff nach Amerika ablege. Er werde gerne auf ihre Nachricht aus Liverpool warten.
»Ich weiß nicht«, sagte Maureen ganz leise, wie benommen. Aber sie wollte damit nicht sagen, dass sie nicht wisse, ob sie ihn liebe und ob sie ihn heiraten wolle. Sie meinte damit, dass sie nicht wisse, ob er es auch wirklich wolle, und wenn ja, ob sie – nach so langer Zeit und so viel Leid –, eine dreißigjährige Frau, die nie geküsst worden war und alles verloren hatte, was ihr teuer war, ob sie ihm eine gute Frau sein könne.
Irgendwo auf dem Schiff läutete eine Glocke, und eine Stimme forderte alle Gäste auf, von Bord zu gehen.
Dann legte Tidy den Arm um sie und sagte zu ihr:
»Kommen Sie. Sie haben nichts zu
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