Die Rebellen von Irland
meine Familie seit zweihundertfünfzig Jahren hier.«
Jetzt sah sie ihren Pächter an und fragte ihn höflich nach seinem Anliegen.
»Es geht um mein Land, Mrs Budge«, sagte Fintan. »Wir pachten es schon so lange, wie die Familie Budge hier wohnt.«
»Und Sie haben jetzt mehr davon als je zuvor, soweit ich weiß«, bemerkte Mrs Budge mit einem Nicken.
Der großen Hungersnot waren über eine Million Menschen zum Opfer gefallen, doch hatte die Kartoffelfäule etwas noch Umwälzenderes in Gang gesetzt und damit das Gesicht Irlands verändert – die Landvertreibungen. Im Westen, aber auch in den meisten anderen Gegenden Irlands waren nicht Zehn-, sondern Hunderttausende von Familien von ihren kleinen, immer wieder unterteilten und unprofitablen Äckern vertrieben worden. Man hatte massenhaft Bauernkaten mit ein wenig Land darum herum abgerissen und das Land umgepflügt oder in Weideland zurückverwandelt. Ganze Landstriche waren entvölkert worden. Manche große Ländereien blieben ganz ohne Pächter, andere wurden an geschäftstüchtige Viehzüchter verpachtet. Ein einzelner Pächter bewirtschaftete inzwischen sechs, zwölf oder noch mehr Hektar. Die neue Generation hatte eine schreckliche Lektion gelernt. Der Hof wurde nicht mehr geteilt, sondern ging als Ganzes an einen Sohn über, der meist später heiratete als sein Vater und dessen Brüder wegziehen und anderswo unterkommen mussten.
Man könnte fast sagen, dass die Engländer, die immer davon geträumt hatten, Irland mit tüchtigen freien Bauern zu besiedeln, sich ihren Wunsch erfüllt hatten – mit zwei Unterschieden: Die neuen Höfe gehörten nicht englischen Protestanten, sondern irischen Katholiken, und die Bauern, über denen wie ein Damoklesschwert die Bedrohung durch eine neue Hungersnot hing, kannten nur ein Ziel – ihren Anspruch auf das Land zu sichern. Die englischen Grundherren sollten baldmöglichst verschwinden und nie wieder zurückkehren.
In Rathconan war man nicht so radikal vorgegangen wie im Westen, doch auch Mrs Budges Vater hatte unterteilten Landbesitz zusammengelegt, und Fintans Vater hatte zu den Nutznießern der Zusammenlegung gehört.’ Die Kartoffelfelder an den Berghängen waren in Weiden zurückverwandelt worden. Die Grenzen der früheren Felder konnte man noch deutlich sehen. Fintan hatte fünf Hektar gepachtet, während seine Vorfahren in der Zeit vor der Hungersnot mit kleinen Landparzellen hatten auskommen müssen. Mit einem Wort, in Rathconan waren fast wieder Verhältnisse wie zu jener Zeit eingekehrt, in der Fintans Ahnen ihre Rinder auf den Berghängen hatten grasen lassen. Und Fintan wollte das Land auch bald wieder selbst besitzen.
»Ich muss mich absichern«, sagte er.
»Sie sind ein guter Pächter, ich weiß«, antwortete Mrs Budge. »Und es gibt hier keine Leute wie Charles Boycott.«
Vor vierzig Jahren hatte die Tenants League angefangen, für die Rechte der irischen Pächter zu kämpfen. Bedeutende Männer hatten sich für die Pächter eingesetzt. In England hatte William Gladstone, der mächtige Anführer der liberalen Partei, der Nachfolgerin der Whigs, neue Gesetze zu ihrem Schutz eingebracht. Vor allem aber hatte Charles Stewart Parnell, der Gründer der Irischen Landliga, für sie gekämpft. Doch der Erfolg hatte auf sich warten lassen. Dann hatte die Kartoffelfäule vor fünfzehn Jahren wieder eine Welle der Vertreibungen ausgelöst, die nicht ohne Gewalt abging, und Charles Stewart Parnell hatte seinen berühmten Aufruf erlassen. Sprecht nicht mit den Grundbesitzern, die ihre Pächter vertreiben, hatte er die Iren aufgefordert. Verkehrt nicht mit ihnen, isoliert sie. »Meidet sie wie früher die Aussätzigen.« Besonders Captain Boycott, als Gutsverwalter für zahlreiche Vertreibungen verantwortlich, bekam die Folgen dieses Aufrufs zu spüren. Seit damals waren die Pächter zwar etwas besser gestellt, aber immer noch nicht gut genug.
»Ich würde gern das Land kaufen, das ich von Ihnen gepachtet habe.«
»Kaufen?«
»Das Gesetz ermöglicht …«
Mrs Budge musterte ihn kalt. »Ich kenne das Gesetz.«
Dank Parnells unermüdlichem Wirken im Londoner Parlament hatten inzwischen nicht nur die Liberalen, sondern auch die Tories die Partei der irischen Pächter ergriffen. Die Regierung wollte die Pächter ermutigen, das gepachtete Land zu kaufen. In ihren jüngsten Gesetzen bot sie ihnen zu diesem Zweck sogar Darlehen an. Fintan mochte insgeheim nicht einsehen, warum er Geld für Land zahlen sollte,
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