Die Rebellen von Irland
das ihm seiner Meinung nach sowieso gehörte, doch konnte er nicht bestreiten, dass die angebotenen Konditionen attraktiv waren. »Vier Prozent über neunundvierzig Jahre, das ist insgesamt weniger als die Pacht, die ich im selben Zeitraum zahlen würde«, hatte er ausgerechnet. Auch Mrs Budge konnte über seinen Wunsch nicht erstaunt sein. In ganz Irland war in den vergangenen Jahren Land in bemerkenswertem Umfang von den Händen der protestantischen Gutsbesitzer in die der katholischen Pächter übergegangen. Über fünfundzwanzigtausend Pächter hatten schon ein Darlehen der Regierung in Anspruch genommen.
»Als Nächstes fordern Sie wahrscheinlich die Selbstverwaltung für Irland«, fuhr Mrs Budge leise fort.
Fintan O’Byrne schwieg. Er widersprach ihr nicht. Sein Sohn Willy betrachtete die seltsame Dame mit dem Turban und versuchte zu ergründen, wie es kam, dass dieses Wesen aus einer anderen Welt in seinem unheimlichen, nach Gewürzen riechenden Kokon über die bergigen Felder und Wiesen bestimmen konnte, die er so gut kannte und so sehr liebte. Ihre Augenfarbe war blau. Haare und Gesicht schienen förmlich in dem fest gewickelten Turban zu verschwinden. Ihre Miene war völlig ausdruckslos.
»Ich werde darüber nachdenken, Fintan«, sagte Rose Budge schließlich. »Wir sprechen uns in einigen Tagen wieder.«
Willy und sein Vater kehrten nach draußen zurück, erleichtert, an der frischen Luft zu sein.
»Wird das Land wieder uns gehören?«, fragte Willy.
»Vielleicht.« Fintan seufzte. »Gott allein weiß, was im Kopf dieser Frau vorgeht.«
***
Nachdem die beiden gegangen waren, blieb Rose Budge bewegungslos auf ihrem Stuhl sitzen und dachte nach. Sie wusste nicht, warum Fintan den Jungen mitgebracht hatte, der sie die ganze Zeit mit Augen wie Untertellern angestarrt hatte. Doch egal, sie musste jetzt über Fintans Anfrage nachdenken. Sie starrte auf den blendend hellen Spalt zwischen den Vorhängen, durch den sich die Sonnenstrahlen wie Diebe lautlos in das schützende Dunkel ihres Zimmers stahlen.
Es war also so weit. Sie machte Fintan O’Byrne keine Vorwürfe. Nicht er war schuld daran, sondern der Mann, den er zweifellos verehrte: der verfluchte Parnell.
Obwohl sie Nachbarn waren und beide protestantische Grundbesitzer, hatten die Budges ihn nie gemocht. »Seine Mutter ist Amerikanerin«, hatte ihr Vater immer gesagt. »Wahrscheinlich ist das sein Problem.« Rose selbst war im Ausland gewesen, als Charles Stewart Parnell im Parlament gesessen hatte, doch hatte man sie gut informiert.
Sie war schockiert gewesen. Wie konnte sich Parnell, ein protestantischer Grundbesitzer wie sie selbst, zum Nachfolger Daniel O’Connells aufschwingen? Denn genau das hatte Parnell getan, als er damals vor einem Dutzend Jahren wie ein Komet über dem Parlament aufgestiegen war. Natürlich hatte er nicht der Vorkämpfer der katholischen Kirche sein können, dafür aber der Vorkämpfer der katholischen Pächter. Er hatte eine mächtige Partei zu seinen Diensten gehabt und ähnlich geschickt taktiert wie O’Connell. Er war im britischen Unterhaus, House of Common, verschiedentlich das Zünglein an der Waage gewesen und hatte beide Parteien rücksichtslos dazu gezwungen, Gesetze zum Nutzen Irlands zu beschließen.
Und wo Daniel O’Connell gehofft hatte, die Union mit England würde dereinst wieder rückgängig gemacht, war Parnell viel direkter gewesen und hatte laut und in aller Deutlichkeit die Selbstverwaltung gefordert. Er hatte Gladstone dazu gedrängt, eine entsprechende Gesetzesvorlage im Parlament einzubringen. Rose Budge persönlich hielt das für töricht. Man mochte die Familien der protestantischen Oberschicht wie ihre eigene durch Einschüchterung oder Betrug zum Nachgeben bringen, doch gab es in Irland Menschen, die aus anderem Holz geschnitzt waren. Wenn man in London glaubte, die Presbyterianer von Ulster würden sich von Katholiken regieren lassen, unterlag man einem verhängnisvollen Irrtum. Lord Randolph Churchill hatte mit seiner Warnung Recht gehabt: »Ulster wird kämpfen und das mit Recht.« Gott sei Dank hatte die konservative Opposition Gladstones törichte Vorlage abgeschmettert. Doch Parnell hatte keine Ruhe gegeben. In kürzester Zeit hatte er die Tory-Regierung dazu gebracht, den Iren alle möglichen Zugeständnisse zu machen – nur nicht die Gewährung der Unabhängigkeit. Ein solches Zugeständnis waren auch die Darlehen, mit denen Fintan ihr jetzt das Land abkaufen
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