Die Rebellen von Irland
rastete er eine Stunde lang und erreichte am späten Nachmittag Rathconan.
Wie sein Vater es ihm aufgetragen hatte, verschwieg er seinen Namen, aber als Brian O’Byrne herauskam und sich erkundigte, was er wolle, übergab er ihm den Brief. Außerdem sagte er, O’Byrne müsse ihn in seiner Anwesenheit lesen. Leicht überrascht führte Brian ihn nach drinnen und ging mit ihm in die Wohnhalle.
Orlando hatte nicht erwartet, dass O’Byrne so jung sein würde, nur ein paar Jahre älter als er selbst. Mit seinem verwuschelten blonden Haar wirkte er beinahe jungenhaft. Aber in den seltsamen grünen Augen lag eine stille Autorität, die Orlando sehr beeindruckte. O’Byrne setzte sich an einen Tisch aus Eichenholz und las langsam und sorgfältig. Nur ein- oder zweimal verriet sein Gesichtsausdruck einen Anflug von Überraschung. Dann stand er auf, holte Papier, Feder und Tinte und schrieb einige Worte nieder. Als er fertig war, sah er Orlando an.
»Bist du sein Sohn?«
»Ja.«
»Weißt du, was in diesem Brief steht?«
»Nein. Mein Vater hielt es nicht für angebracht, mir das zu sagen.«
»Und damit hat er Recht«, sagte Brian.
Der Inhalt des Briefes hatte ihn mehr aus der Fassung gebracht, als er sich anmerken ließ. Walsh hatte ihn kurz und bündig davor gewarnt, dass sein Erbe in Gefahr sei und ihm geraten, sofort etwas zu unternehmen. Martins Abscheu vor Pinchers nackter Habgier war nicht der Grund dafür – habgierige Menschen der unterschiedlichsten Schichten waren dem Advokaten beileibe nicht unbekannt –, sondern die kurzsichtige, politische Dummheit, die es bedeutete, einem angesehenen Iren wie Brian O’Byrne sein Land zu stehlen. Legalisiert oder nicht. Genau diese Dummheit der Neuengländer könnte eines Tages der Grund dafür sein, dass diese Insel nicht mehr regiert werden konnte. Und es war dieses hehre Pflichtgefühl, das Martin nach seinen Gebeten dazu bewogen hatte, das Vertrauen seines Klienten zu missbrauchen.
Es war nichts Ungewöhnliches, dass die englische Regierung die Besitzansprüche von Männern wie O’Byrne nachträglich beglaubigte. Er kannte ein paar Beamte in Dublin, die seine Ansicht teilten und hatte O’Byrne in dem Brief ihre Namen genannt. Ein diskretes Gespräch mit Doyle würde bestimmt auch einige protestantische Gentlemen auf seine Seite bringen. Aber da viele Parlamentarier und ihre Freunde – und nicht zu vergessen Doktor Pincher – begierig nach solchen Gelegenheiten Ausschau hielten, riet er O’Byrne, sofort diskret nach Dublin aufzubrechen, »bevor die Hunde Ihre Spur aufnehmen«. Aus Gründen, die er nicht nennen dürfe, müsse sein Anteil an dieser Geschichte für immer geheim bleiben. »Ich habe meinen Eid als Advokat gebrochen, um Ihnen dies mitzuteilen«, schrieb er offen.
»Orlando, sag deinem Vater, dass die O’Byrnes von Rathconan auf ewig in seiner Schuld stehen«, sagte Brian bewegt.
»Sie sollen den Brief vor meinen Augen verbrennen«, sagte Orlando.
»Das werde ich.« Brian führte ihn zur Feuerstelle und gemeinsam beobachteten sie, wie das Papier in Flammen aufging und zu Asche zerfiel.
»Bitte sei zum Essen mein Gast«, sagte Brian.
»Ich soll im Stall schlafen und darf meinen Namen nicht sagen«, erwiderte Orlando.
»Ah, natürlich.« O’Byrne lächelte. »Aber eines verspreche ich dir: Wenn wir uns das nächste Mal sehen, dann als Freunde, Orlando Walsh.«
***
Am nächsten Morgen brach Orlando bei Sonnenaufgang auf. Der Himmel über den Wicklow-Bergen war klar, und eine leichte Brise wehte landeinwärts. Er war ungeheuer stolz auf sich, weil er seine Mission in allen Punkten erfüllt hatte, und er konnte es kaum erwarten, seinem Vater davon zu berichten.
Im Lauf des Morgens drehte der Wind und blies jetzt kälter von Norden her. Als Orlando den Abhang erreichte, vor dem sich das ganze Panorama der Dubliner Bucht vor ihm ausbreitete, sah er, dass eine lange, graue Wolkenbank von Ulster herunterzog und ihre Schatten bereits auf das ferne Fingal warf. Da er sehr schnell geritten war, erreichte er den Hof von Doyles Haus jedoch noch vor Mittag.
Weder Doyle noch seine Frau waren zu Hause, aber ein Diener sagte ihm: »Sie sollen unverzüglich nach Hause reiten.« Genau das hatte Orlando auch vorgehabt. Er wechselte schnell das Pferd und brach sofort auf.
Der Schatten der Wolkenbank erreichte ihn, als er den Liffey überquerte. Es wurde immer grauer und drückender, obwohl er ein- oder zweimal zu seiner Rechten sah, wie das Sonnenlicht durch
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