Die Rebellen von Irland
einen privaten Besuch hinter der Bühne während einer Probe arrangiert, dem Caitlin jetzt entgegenfieberte.
Sie hatten den Liffey überquert, und vor ihnen erstreckte sich die breite Sackville Street. Das gewaltige Hauptpostamt links mit dem von sechs großen Säulen getragenen Portikus sah aus wie eine Kaserne. Davor stand in der Mitte der Sackville Street die hohe Nelson-Säule, die der Straße ein herrschaftliches Gepräge verlieh. Die Säule zur Erinnerung an den großen englischen Admiral, die älter war als ihr Pendant auf dem Londoner Trafalgar Square, hatte Sheridan schon immer gefallen. Und wenn eine solche Säule mitten auf der Straße stand, fand er, sollte sie auch einem nützlichen Zweck dienen. Tatsächlich führte eine Treppe im Innern der Säule zu einer Aussichtsplattform hinauf, von der man einen herrlichen Blick über die Stadt hatte.
Die beiden näherten sich gerade der Säule, da kam ihnen Father Brendan MacGowan entgegen.
Er begrüßte sie herzlich. Doch, es ging ihnen gut. Ob sie den kräftigen Ostwind bemerkt hätten? Sie würden ihn im Gesicht spüren, wenn sie die Abbey Street hinaufgingen. Doch er wolle sie nicht aufhalten. Vergnügt verabschiedete er sich von ihnen und ließ sich vom Wind weiter nach Westen blasen. Sheridan und Caitlin bogen unterdessen in die Abbey Street ein und näherten sich dem Theater.
»Sie haben Mr Yeats verpasst«, teilte der Pförtner ihnen mit. Doch den konnte man in Dublin beinahe täglich sehen. Dazu brauchte man sich nur zum St. Stephen’s Green zu begeben. Dort schwebte die hochgewachsene Gestalt mit den schwarzen Locken in einem Zustand inspirierter Entrückung am Zaun entlang wie ein Engel auf einer Wolke.
Drinnen hatte Sheridan nicht mehr viel zu tun. Er übergab Caitlin einem Mitglied der Theatertruppe und spazierte ein wenig in dem Gebäude herum, während Caitlin die Garderoben, die Schminktische, die Kulissen an den Flaschenzügen und das Lager mit den Requisiten gezeigt wurden. Der Inspizient erschien. Eine Szene sollte geprobt werden. Sheridan sah Caitlin nicht, doch stand sie bestimmt in den Kulissen und beobachtete jede Bewegung und lauschte auf jedes Wort. Auch er selbst, für den das alles altbekannt war, spürte immer wieder neu die besondere Atmosphäre, die für Liebhaber des Theaters noch mehr als die Atmosphäre einer Kirche am Ewigen teilhat. Er setzte sich in eine der vorderen Reihen des leeren Parketts und schloss die Augen.
Caitlin tauchte erst anderthalb Stunden später wieder auf. Ihre Augen leuchteten. Sheridan lächelte. Offenbar war der Besuch ein Erfolg gewesen. Ein Bühnenarbeiter begleitete Caitlin. Auch er lächelte. »Es hat ihr hier gefallen«, sagte er zu Sheridan. Und er fügte hinzu: »Es war schön mit ihr«, wie um zu sagen, dass Caitlin hierher gehöre. Im selben Augenblick ging irgendwo über ihnen knarrend eine Tür auf und schlug mit einem Knall wieder zu. Der Bühnenarbeiter hob den Kopf, verabschiedete sich mit einem Lächeln und verschwand hinter den Kulissen. Sheridan und Caitlin machten sich auf den Weg zum Ausgang. Sie hatten gerade den Gang erreicht, der zum Bühneneingang führte, da eilte ihnen eine respekteinflößende Frau in einem Pelzmantel und einem großen Filzhut mit breiter Krempe entgegen.
»Halt!«, rief sie. »Ich möchte Sie sehen.« Sie nickte. »Sheridan.«
»Ich glaubte, Sie seien in Paris«, erwiderte Sheridan.
»Ich bin für zwei Tage in Dublin. Niemand weiß, dass ich hier bin.« Sie musterte Caitlin. »Und wer ist dieses hinreißende Kind?«
»Gräfin Caitlin Birne«, sagte Sheridan ruhig. Und an das Mädchen gewandt: »Das ist Miss Gonne.« Er trat einen Schritt zurück, denn er wusste genau, dass er jetzt nur abwarten konnte, bis Miss Gonne fertig war.
»Mein liebes Kind«, sagte sie, »du hast bemerkenswerte Augen. Bestimmt wirst du zum Theater gehen.«
Eine ungewöhnliche Frau, dachte Sheridan. In England als Tochter eines Offiziers geboren, hatte sie ihrem Leben eine ganz andere Richtung gegeben. Ihr Vater hatte ihr genügend Mittel zu ihrer Unabhängigkeit hinterlassen und sie lebte überwiegend in Paris. Sie war jahrelang die Geliebte eines französischen Journalisten gewesen, von dem sie zwei Kinder hatte. Yeats hatte sie freilich trotz alledem heiraten oder ihr in einem Stück eine Rolle als irische Heldin geben wollen. Sie hatte stattdessen einen irischen Patrioten geheiratet. Die Ehe hatte allerdings nicht lange gehalten. Nun gab sie eine französisch-irische
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