Die Rebellen von Irland
neugierig auf irische Geschichte gemacht. Sie wollte alles über die Kindheit der Urgroßmutter, die große Hungersnot und ihre Flucht nach Dublin wissen. Maureen erzählte von ihren Verwandten in Amerika und der Bitterkeit, die sie gegenüber England empfand. »Vergiss nicht, dass deine eigenen Vorfahren, die O’Byrnes, aus Irland vertrieben wurden, Caitlin«, sagte sie etwa. »›Wildgänse‹ nannte man sie. Und sieh, was sie aus ihrem Leben gemacht haben. Sie kämpften um Titel und Grundbesitz, und das Glück war ihnen hold. Auch die Maddens gelangten in Amerika zu Wohlstand, Gott sei Dank. Einzig und allein die Engländer verachten die Iren beharrlich. Überall sonst in der Welt sind sie bis ganz nach oben aufgestiegen.«
Vor kurzem hatte Caitlin ihrem Stiefvater zu dessen großer Freude einige kluge Fragen zur politischen Lage gestellt. Ob man wirklich hoffen dürfe, hatte sie wissen wollen, dass Irland sich endlich von England befreien werde?
»Gerade eben haben sich einige interessante Dinge zugetragen«, antwortete Sheridan.
Angestoßen worden war die Entwicklung durch eine Auseinandersetzung, die mit Irland nicht direkt zu tun hatte. 1909 war im Londoner Parlament eine bedeutsame Veränderung eingetreten. Bisher hatte das traditionell mit konservativen Mitgliedern des Erbadels besetzte Oberhaus sämtliche Gesetze verhindern können. Als die gegenwärtige liberale Regierung ihren Haushalt nicht gegen das Oberhaus hatte durchsetzen können, hatte sie mit Hilfe von Redmonds irischen Abgeordneten kurzerhand eine Verfassungsänderung erzwungen. Ab jetzt konnten die Lords Gesetze nicht mehr verhindern, sondern nur noch verzögern. Als Lohn für ihre Hilfe hatte die irische Partei sich versprechen lassen, dass ein neues Gesetz zur irischen Selbstverwaltung ins Parlament eingebracht werden sollte. »Wenn das nächste Selbstverwaltungsgesetz verabschiedet wird«, frohlockte Sheridan, »können die Lords es nicht mehr verhindern. Die Befürworter eines unabhängigen Irland werden ihren Willen ohne Blutvergießen bekommen. Das ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit. Innerhalb der nächsten Jahre, würde ich sagen.«
»Und das ist gut so, nicht wahr, Onkel Sherry?«
»Was glaubst du?«
»Ich finde es gut.«
Jetzt gingen die beiden zu einer Probe ins Abbey Theatre.
Caitlins Begeisterung für das Theater war neu. Sie hatte zusammen mit ihrer Mutter gern die üblichen Pantomimen und Varietés besucht. Das etwas frühreife Interesse am ernsten Drama ging jedoch auf den Einfluss der alten Maureen zurück.
Deren Interesse am Abbey Theatre war ganz unerwartet erwacht.
Im Januar 1907 hatten Yeats und Lady Gregory ein Stück von J. M. Synge auf die Bühne gebracht, das großen Wirbel verursachte. Der Held der westlichen Welt mit seiner eingängigen Sprache und anarchischen Thematik war anders als alles, was die Dubliner bis dahin gesehen hatten. Das Stück gefiel ihnen nicht. »Das ist nicht Irland«, protestierten sie. »So sprechen die Iren nicht.« Die merkwürdige Handlung des Stücks entsprang für sie »einer kranken Phantasie«. Am Ende der Vorstellung war es geradezu zu einem Aufstand gekommen. »An der Westküste reden die Leute so«, erwiderte der Autor des Stücks, »und selbst in Dublin kann man es hören.« So groß war die öffentliche Erregung, dass Maureen Sheridan gedrängt hatte, sie in eine Vorstellung mitzunehmen. »Ich komme aus dem Westen«, erklärte sie, »deshalb will ich mir selbst ein Urteil bilden.« Inzwischen kamen viele Zuschauer nur, um das Stück niederzubrüllen, und sie machten so viel Lärm, dass Maureen die Schauspieler kaum verstand, doch anschließend erklärte sie, es habe ihr gefallen. Sie schien die Bemühungen des Theaters um die Aufführung irischer Stücke gutzuheißen, und begann zu Sheridans Überraschung in ihrem neunzigsten Lebensjahr plötzlich, regelmäßig, fast jeden Monat, ins Theater zu gehen. Anfang 1909 beschloss sie, dass Caitlin sie dabei begleiten sollte. Caitlins Mutter befürchtete, das Mädchen könne sich langweilen, doch davon konnte keine Rede sein, ganz im Gegenteil. Caitlin hatte vor kurzem sogar verkündet, Schauspielerin werden zu wollen. »Meine Tochter ist in das Theater vernarrt, lieber Sherry«, hatte Mary geklagt. »Was soll ich tun?«
»Gar nichts«, erwiderte er mit einem Lächeln. Vom Theater besessen zu sein war für ein elfjähriges Mädchen keineswegs ungewöhnlich. Sheridan Smith hatte seine Kontakte zum Theater spielen lassen und
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