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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ging nicht. Vielleicht war er bereits unterwegs. Und außerdem sollte sie ihm wenigstens von Angesicht zu Angesicht sagen, dass sie ihn nicht wiedersehen wollte. Ja, genau das musste sie tun.
    * **
    Am frühen Nachmittag saß sie im Wohnzimmer, als sie hörte, dass je mand das Haus betrat. Sie erhob sich und merkte, dass ihr Herz plötzlich raste. Schon wollte sie zur Tür eilen. Aber es war nicht O’Byrne. Es war Lawrence. Ihr älterer Bruder kam ins Wohnzimmer, setzte sich und bat sie um ein Gespräch unter vier Augen. Zuerst plauderte er freundlich über die Familie und fragte sie, ob sie sich ohne Walter einsam fühlte. Dann legte er eine Pause ein. Offensichtlich hatte er noch etwas anderes auf dem Herzen. Sie wartete.
    »Anne … ich habe mich gefragt, ob du mir vielleicht etwas sagen möchtest«, begann er leise.
    »Ich weiß nicht, was du meinst, Lawrence.« Ihr Gesicht war völlig ausdruckslos.
    »Möchtest du mir etwas beichten?« Er sah sie forschend an.
    »Ich habe doch einen Beichtvater, Lawrence.«
    »Ich bin Priester, Anne. Ich könnte dir die Beichte abnehmen, falls du das willst.«
    »Das will ich aber nicht, Lawrence.«
    Sie sah, wie sein Gesicht sich verärgert verzog. In diesem Moment wirkte er wie der alte Lawrence aus ihrer Kindheit: streng und selbstgefällig. Sonst wäre das niemandem aufgefallen, aber sie war schließlich seine Schwester. Dann glättete der Jesuit seine Miene und fuhr fort:
    »Natürlich, Anne. Wie du willst. Ich bin dein Bruder und liebe dich. Aber bitte höre mich an. Vor vielen Jahren habe ich dich dazu gedrängt, Walter seinem Bruder vorzuziehen. Erinnerst du dich daran?«
    »Du sagtest mir: › Head over heart, the better part. ‹Das weiß ich noch sehr gut.«
    »Jetzt rate ich dir das Gegenteil. Denk an das Herz, Anne, das Herz deines Ehemannes. Ich bitte dich. Du darfst nicht so grausam sein, es ihm zu brechen.«
    Er hatte in ernstem, drängendem Tonfall gesprochen. Nun legte er eine Pause ein, und sein Blick wurde streng. »Zu was dich der Teufel auch verführt haben mag, beende es. Ziehe dich zurück. Du bist auf dem Weg in die ewige Verdammnis, und wenn du diesen Weg weitergehst, dann verdienst du die Höllenfeuer auch. Deshalb bitte ich dich: Kehre um, bevor es zu spät ist.«
    Anne starrte ihn schweigend an. Sie ahnte, dass Orlando sich ihm anvertraut haben musste. Es tat nichts zur Sache, dass er mit seinem Verdacht richtig lag. Ebenso wenig kam es darauf an, dass sie selbst zum gleichen Schluss gekommen war. Sie war nur wütend darüber, dass Lawrence schon wieder den großen Bruder spielte.
    »Was wirfst du mir eigentlich vor, Lawrence? Drück dich deutlich aus«, sagte sie in gefährlich ruhigem Ton.
    »Ich werfe dir gar nichts …«
    »Da bin ich aber froh«, unterbrach sie ihn eisig. »Es klang nämlich fast so, als würdest du mich beschuldigen, meinen Ehemann zu betrügen.« In ihrer Stimme lag kalte Verachtung, die Lawrence empfindlich traf.
    »Bist du bereit zu schwören, dass zwischen dir und Brian O’Byrne nichts Unziemliches vorgefallen ist?«, fragte er wütend.
    »O’Byrne hat Maurice sehr freundlich zu sich eingeladen«, antwortete sie fest. »Das ist alles. Deine Unterstellung ist unerhört und unverschämt.«
    »Ich hoffe, ich kann dir glauben.«
    »Nennst du mich jetzt auch noch eine Lügnerin?« Sie war weiß vor Zorn. »Verlass mein Haus, Lawrence. Komm erst wieder, wenn du dir Manieren angewöhnt hast.« Sie stand auf und zeigte zur Tür. »Verschwinde«, befahl sie. Sie zitterte vor Wut. Ihr Bruder erhob sich ebenso wütend.
    »Du beschämst mich, Schwester«, sagte er, als er den Raum verließ.
    Nachdem er fort war, blieb sie wütend und trotzig stehen. Was bildete er sich eigentlich ein, ihr hier einen Vortrag zu halten? Hielt er sie immer noch für das kleine Mädchen, das vor all diesen Jahren verliebt gewesen war? Und dann beschuldigte er sie auch noch einer Sünde, die sie noch gar nicht begangen hatte. Und nannte sie obendrein noch eine Lügnerin.
    Wenn das so ist, dachte sie in ihrer Wut, dann kann ich genauso gut sündigen.
    Und sie war immer noch in dieser Stimmung, als Brian O’Byrne am späten Nachmittag bei ihr eintraf.
     
    Kurz nach dem Besuch der Smiths im September hatte Orlando seiner Frau anvertraut, dass er sich wegen Anne und O’Byrne Sorgen machte. Kopfschüttelnd gestand er: »Ich kann einfach nicht glauben, dass meine eigene Schwester so etwas tun würde.« Auch Mary war schockiert, aber nicht ganz so sehr wie

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