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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gesehen, wie sie sich schuldbewusst trennten.
    O’Byrne kam erst Ende August nach Dublin. Wie versprochen stattete er den Smiths einen Besuch ab. Leider erfuhr er, dass Walter und sein Sohn vor zwei Tagen nach Kildare aufgebrochen waren und bereits am selben Nachmittag zurückerwartet wurden. Schade, dachte er. Eine verpasste Gelegenheit. Aber ein paar Minuten lang war er mit Anne im Wohnzimmer allein gewesen. Sie stand dicht vor ihm. Er blickte auf sie herunter. Sie hob den Kopf und sah ihn an. Und dann küssten sie sich, als sei es die normalste Sache der Welt.
    Ein Geräusch an der Wohnzimmertür ließ sie wieder schnell auseinander fahren. Aber bevor Brian sich verabschiedete, schlug er vor: »Schick mir doch eine Nachricht, wenn dein Ehemann das nächste Mal verreist.« Und am vergangenen Abend war ein Bote mit einem Brief von Anne gekommen, in dem stand, dass Walter wieder verreisen würde. Voller Vorfreude machte sich Brian O’Byrne auf den Weg nach Dublin.
    * **
    Am folgenden Morgen saß Anne Smith zu Hause und fragte sich, ob O’Byrne wohl kommen würde. Sie hatte fürchterliche Gewissensbisse. Was sollte sie nur tun? Was war nur in sie gefahren? Warum hatte sie es überhaupt nur so weit kommen lassen? Sie wusste es manchmal selbst nicht. Wenn sie geahnt hätte, wie O’Byrne ihren Seelenzustand beurteilte, hätte sie ihm wahrscheinlich sogar beigepflichtet. Aber sogar er konnte nicht wissen, welche Auswirkungen die jahrelange Selbstverleugnung, die Anspannung und Frustration gehabt hatten; das Gefühl, bereits tot zu sein, das sie oft überwältigte. Manchmal erinnerte sie sich gar nicht mehr daran, wie es war, sich lebendig zu fühlen. Seit Brian so plötzlich und unerwartet wieder in ihr Leben getreten war, erschien ihr die Welt wie durch ein magisches Licht verwandelt. Die Macht des Schicksals hatte Moral und sogar Religion zur Seite gedrängt. Bei jeder seltenen Begegnung mit O’Byrne – damals auf der Insel, in Rathconan und sogar hier, in ihrem eigenen Haus – zog es sie zueinander hin und die Ereignisse nahmen, wie von einer höheren Macht gesteuert, ihren Lauf.
    Bis jetzt hatte sie sich einreden können, dass alles Schicksal gewesen war, über das sie – fast – keine Kontrolle hatte. Aber nun hatte sie gehandelt. Sie hatte ihn zu sich gerufen, das ließ sich nicht leugnen. Und jetzt kamen ihr Zweifel.
    Sie vermutete, dass Orlando Verdacht geschöpft hatte. An dem Tag, als sie O’Byrne geküsst hatte, war Orlando nur wenige Minuten, nachdem sich der Ire verabschiedet hatte, hereingekommen. Er hatte sehr merkwürdig ausgesehen. Er sagte ihr, er habe in Dublin zu tun und wolle nur sehen, ob Walter schon wieder zurück sei. Dann fragte ihr Bruder stirnrunzelnd: »War das O’Byrne, den ich gerade aus dem Haus gehen sah?« Und wie eine Närrin hatte sie einen fatalen Augenblick lang gezögert, bevor sie sich fasste und mit einem leicht nervösen Lachen erwiderte: »Ja. Er wollte sich nach Maurice erkundigen.« Der misstrauische Blick, den ihr Bruder ihr zuwarf, war ihr nicht entgangen. Er wirkte besorgt und wollte gerade etwas sagen, als sie, Gott sei Dank, in die Küche gerufen wurde und das Gespräch abbrach. Als sich die ganze Familie zwei Wochen darauf in Fingal traf und gemeinsam in Malahide die Messe besuchte, sagte er nichts zu ihr.
    Aber es war nicht die Angst vor ihrem Bruder, die sie zögern ließ. Es war ihre Zuneigung zu ihrem gütigen Ehemann. Am vergangenen Abend war Walter so glücklich gewesen. Nicht nur seine Frau und sein Sohn, sondern auch seine Töchter mit ihren Ehemännern und Kindern waren alle beisammen gewesen. Sie hatten gemeinsam gegessen und einen fröhlichen Abend miteinander verbracht. Sie spielten lustige Spiele, und Walter konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Auch sein irritierendes Glucksen ließ er einige Male hören, aber inmitten von so viel Freude störte es Anne überhaupt nicht. Sie beobachtete ihn und dachte: ein guter, aufrechter Mann, der mich liebt. Und auch ich liebe ihn für seine Güte. Als er sich am heutigen Morgen liebevoll von ihr verabschiedet hatte, sah sie ihm nach, bis er um die Ecke bog. Dann ging sie wieder ins Haus und dachte: Nein, das kann ich ihm nicht antun. Sie führte doch eine annehmbare Ehe. Sie musste einen Rückzieher machen und diese Treffen mit O’Byrne beenden, bevor es zu spät war.
    Sie überlegte, ob sie Brian noch eine Nachricht schicken sollte. Vielleicht sollte sie ihn bitten, doch nicht zu kommen. Aber das

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