Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
Paxton nahm Mantel und Hut, die ein Diener schon für ihn bereithielt. »Und sagen Sie Wellington Bescheid. Er soll ein paar Männer schicken.«
    »Ist bereits geschehen, Sir.«
    Zehn Minuten später war Paxton am Hyde Park. Als er aus seinem Wagen stieg, glaubte er für einen Augenblick, der Kristallpalast würde brennen. Das ganze Gebäude glühte wie ein riesiger Stahlofen, haushohe Flammen loderten empor – Dutzende von Feuern, in denen die Arbeiter wie jeden Abend altes Laub und Abfälle von der Baustelle verbrannten. Tausendfach brach sich der gelbrote Schein in den Glasscheiben, als Paxton im Laufschritt die Halle betrat, die in dem flackernden Licht noch riesiger erschien als bei Tage: eine endlose Abfolge von Trägern undStreben, die wie das Skelett eines Wals in den nächtlichen Himmel aufragten.
    Die Arbeiter hatten sich um das größte Feuer in der Mitte des Transepts zusammengerottet, schwarze, gespenstische Schatten.
    Entschlossen trat Paxton vor sie hin.
    »Was ist hier los?«
    Die Männer verstummten und blickten ihn an – eine Mauer aus wortloser Feindschaft. Ein älterer Glaser trat vor, ein graubärtiger Mann mit einer Pfeife im Mund. Paxton kannte ihn, er war einer der ersten Arbeiter gewesen, die er eingestellt hatte.
    »Wir haben beschlossen zu streiken, Sir. Ich schätze, Sie wissen warum.«
    »Nein, das weiß ich nicht, Harry Plummer. Und darum fordere ich euch auf, die Arbeit schleunigst wieder aufzunehmen.«
    »So einfach geht das nicht, Mr. Paxton. Wir haben abgestimmt.
    Fast alle sind dafür.«
    »So? Fast alle? Und was sagen eure Frauen und Kinder dazu? Meint ihr, die sind auch damit einverstanden? Mein Gott, Plummer, Sie sind doch ein vernünftiger Mann. Wenn ihr streikt, statt zu arbeiten, habt ihr bald nichts mehr zu essen. Das wissen Sie besser als ich.«
    Plummer schüttelte seinen schweren kahlen Schädel. »Was nicht geht, das geht nicht, Sir. Der Stückakkord ist einfach zu hoch. Erst waren es siebzig Scheiben am Tag, dann achtzig, jetzt sind es neunzig.«
    »Was heißt zu hoch? Sie selbst haben schon hundertundacht Scheiben am Tag geschafft. Haben Sie das vergessen?«
    »Das war eine Ausnahme, jeden Tag kann das keiner, erst recht nicht bei einer Vierzehn-Stunden-Schicht. Es geht um die Gesundheit der Leute. Je schneller sie arbeiten, desto größer wird die Gefahr, dass was passiert. Bill McCloud ist nicht der Einzige, der sich die Knochen gebrochen hat.«
    »Richtig!«, rief ein Zimmermann. »Gestern ist John Steam mit der Hand in die Säge geraten!«
    »Und George Frears wurde letzte Woche fast von einem Baukran erschlagen!«
    »Ein Wunder, dass es noch keine Toten gab!«
    Die Gesichter der Männer waren voller Wut und Hass. Paxton lief es kalt den Rücken herunter. Er wollte gerade etwas erwidern, als er von Ferne das rhythmische Geräusch marschierender Schritte hörte. Gott sei Dank! Das mussten Wellingtons Soldaten sein! Verstört blickten die Männer in die Richtung, aus der die Truppen kamen.
    »Ihr habt die Wahl!«, rief Paxton. »Wer nicht arbeiten will, kann gehen – auf der Stelle! Ich werde keinen zwingen, zu bleiben. Aber vergesst nicht, es gibt genug Ersatz, für jeden von euch. Auf jeden Mann, der streikt, gibt es hundert andere, die nur darauf warten, morgen hier anzufangen. Also entscheidet euch…« Seine Worte gingen im Lärm unter. Mit Pfiffen und Buhrufen empfingen die Arbeiter die heranrückenden Soldaten und ballten die Fäuste. Ein Stein flog durch die Luft, ein zweiter, ein dritter. In wenigen Sekunden verwandelte sich die Halle in einen Kampfplatz. Die Soldaten rückten im Laufschritt vor, zückten ihre Schlagstöcke, griffen einzelne Arbeiter heraus und verprügelten sie. Die ließen sich nichts gefallen, setzten sich mit ihren Fäusten und Hämmern zur Wehr, sodass die Wände von den Schlägen und Schreien widerhallten. Entsetzt hob Paxton die Arme, um dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten, brüllte sich die Lunge aus dem Leib, doch vergeblich. Niemand hörte in dem Getümmel auf ihn, genauso wenig wie auf Harry Plummer, der verzweifelt versuchte, seine Männer zu beruhigen.
    Da jaulte eine Sirene auf.
    Auf einmal war alles still. Die Soldaten nahmen wieder Aufstellung, und die Glaser verharrten unschlüssig auf der Gegenseite. Alle Augen waren auf einen jungen Mann gerichtet, der offenbar die Sirene gedreht hatte und jetzt auf Paxton zutrat.
    »Sie wissen genau, dass Sie die Unwahrheit sagen, Mr. Paxton«, erklärte er. »Es gibt keine Arbeiter, die

Weitere Kostenlose Bücher