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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Gefallen und stoß mit mir an«, sagte Emily flehentlich, während sie den Wein mit unsicheren Händen selber einschenkte. »Und setz dich endlich hin. Ich warte schon seit einer halben Stunde auf dich.«
    Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und schaute auf das Etikett. Es zeigte ineinander verschlungene Weinreben und Buchstaben und sah aus wie ein Kunstwerk. »Was hat das gekostet?«, wollte er wissen.
    »Nur der Wein oder alles zusammen?«, fragte Emily schuldbewusst.
    »Alles zusammen.«
    »Ein Pfund und zwei Schilling.«
    »Ein Pfund und zwei Schilling?«, wiederholte er ungläubig.
    »Woher hast du so viel Geld?«
    Emily versuchte, seinen Blick zu erwidern, doch sie schaffte es nicht. »Aus dem Kästchen«, sagte sie und schlug die Augen nieder.
    »Aus
unserem
Kästchen?« Victor musste schlucken. »In dem wir unser Geld für Amerika sparen? Bist du wahnsinnig geworden?«
    Emily starrte auf ihren leeren Teller, als bedeute er ihr Leben. »Als ich heute nach Hause kam, war ich so deprimiert, dass ich es kaum ausgehalten habe. Ein halber Schilling Lohn, für eine ganze Woche Arbeit. Ich hatte solche Angst, dass wir es nicht schaffen, dass wir nie von hier fortkommen, dass ich für immer in dieser Fabrik arbeiten und die verfluchten Spindeln anschauen muss, wie sie sich drehen und drehen und drehen. Ich … ich musste einfach irgendwas tun, um mir Mut zu machen.«
    Victor hatte keine Worte. Hilflos stand er da und schüttelte den Kopf, unfähig, den Sinn ihrer Rede zu begreifen. »Und da hast du gedacht«, fragte er schließlich, »Geldausgeben würde helfen?« Er lachte einmal kurz auf. »Wo hast du das gelernt? Im Buckingham-Palast?«
    Emily starrte weiter auf ihren Teller, ohne einen Ton zu sagen. »Bitte beantworte mir eine Frage.« Victor räusperte sich, bevor er weiter sprach. »Willst du überhaupt noch nach Amerika?«
    »Aber ja«, flüsterte Emily. »Natürlich will ich das … Darum habe ich das ja getan …«
    »Aber das ist doch Irrsinn!«, rief er. »Von dem Geld hätten wir einen Monat leben können! Mindestens!«
    »Ich kann verstehen, dass du so denkst«, sagte Emily mit erstickter Stimme. »Doch glaub mir, es ist kein Irrsinn. Es … es war wirklich nötig, wie Medizin. Die muss man auch kaufen, wenn man krank ist und sie braucht.«
    »Du redest ja vollkommen wirres Zeug.« Victor nahm das Glas, das sie eingeschenkt hatte, und trank es in einem Zug leer. »Aber wenn du meinst, du bist krank – soll ich dann schon mal in Bedlam nachfragen, ob sie einen Platz in der Anstalt für dich frei haben?«
    »Warum verstehst du mich denn nicht?« Emily hob den Kopf und schaute ihn an. Ihre Augen waren nass von Tränen.
    »Wenn du willst, dass ich das tue, musst du mir schon ein bisschen genauer erklären, was das alles soll.«
    »Es ist doch ganz einfach.« Emilys Lippen zitterten beim Sprechen. »Wenn es einem richtig schlecht geht und man nur einen Penny in der Tasche hat, muss man sich was Gutes gönnen. Dann sieht die Welt gleich anders aus. Hast du das noch nie gehört?«
    »Gott sei Dank nein. Von wem hast du den Unsinn?«
    »Von meinem Vater.«
    Die Antwort traf Victor wie ein Schlag ins Gesicht. »Von – deinem – Vater?«, wiederholte er wie ein Idiot.
    »Ja«, sagte Emily, »bei ihm hat es immer funktioniert.«
    Fassungslos starrte Victor sie an, als könne er nicht glauben, was sie gesagt hatte. Er war so wütend auf sie, dass er die Hände in den Hosentaschen zusammenballte, um ihr nicht links und rechts eine runterzuhauen.
    Doch seine Wut war stärker als seine Beherrschung.
    »Hier, von deinem Verlobten!« Er nahm das zerknüllte Geld aus seiner Tasche und knallte es Emily auf den Tisch. »Er lässt dich schön grüßen und sagt, du sollst dir Kaviar dafür kaufen!« Victor machte auf dem Absatz kehrt und marschierte hinaus.
    »Guten Appetit!«
    Mit einem Knall fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

17
     
    Emily wischte sich die Tränen ab und rückte an den Tisch. Jetzt erst recht! Trotzig griff sie nach einer Krabbe und pulte sie aus der Schale, doch das Fleisch des sündhaft teuren Krustentiers, für das sie früher bereit gewesen wäre, einen ganzen Tag lang zufasten, würgte in ihrem Hals, als wäre es ein Stück Steckrübe. Wie hatte sie auch nur so dumm sein können, ihren Vater zu erwähnen?
    Da klopfte es an der Tür.
    »Victor?«
    Emily ließ ihr Besteck fallen und sprang auf, um ihm zu öffnen. Doch auf dem Treppenabsatz stand nicht Victor, sondern ihr ehemaliger

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