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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Strafbuch ein.
    Emily spürte, wie ihr vor Wut die Tränen kamen. Statt zwölfeinhalb würde sie jetzt gerade noch einen halben Schilling bekommen – ihr Lohn für sechs Tage Arbeit, für sechs mal zwölf Stunden täglich.
    Amerika schien ihr plötzlich so weit entfernt, als wäre es nur ein fantastischer, unwirklicher Traum. Plötzlich übermannten sie die Zweifel wie eine Woge. Hätte sie sich für diesen Traum je entschieden, wenn sie vorher gewusst hätte, wie es war, ein Steckrübenesser zu sein?

16
     
    Als Victor an diesem Abend nach Hause ging, hatte er so gute Laune, dass er am liebsten jeden Straßenpassanten, der ihm zwischen Regent’s Park und Waterloo Bridge begegnete, in den Arm genommen hätte. Zwar hatte er sich auch heute wieder vergeblich in einer Druckerei beworben – jeder Meister, der den Vermerk des Coldbath-Fields-Gefängnisses in seinem Arbeitsbuch sah, schüttelte den Kopf –, doch dafür war ihm ein Coup gelungen, mit dem er in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet hatte.
    Emily hatte ihm am Morgen zwei Ohrringe mitgegeben, die er versetzen sollte. Der Schmuck stammte von ihrem ehemaligen Verlobten, sie hatte ihn in einem Fach ihrer Reisetasche gefunden, wo sie ihn früher irgendwann einmal vergessen hatte. Victor war damit nach der Arbeit im Hafen zu einem Pfandleiher nach Chelsea gegangen, vom dem es hieß, dass er für echten Schmuck gute Preise machte. Der weite Weg hatte sich wahrlichgelohnt. Der Pfandleiher hatte ihm für die Ohrringe fünfzig Pfund gegeben, fast so viel wie Emily für die Ohrringe ihres Vaters bekommen hatte, obwohl die ihrer Meinung nach mehr als doppelt so viel wert waren. Das Geld kitzelte wie Juckpulver in Victors Tasche, und wie ein Kind freute er sich darauf, vor Emilys staunenden Augen die Scheine auf den Tisch zu blättern. War das der Ausgleich für das Honorar des
Northern Star
, auf das sie so leichtsinnig verzichtet hatte? Jetzt hatten sie jedenfalls hundertzehn Pfund, und wenn sie vernünftig haushielten, konnten sie bis Oktober jede Woche zusätzlich zwei weitere Pfund in das Kästchen legen, in dem sie ihre Ersparnisse aufbewahrten, sodass sie mit ein bisschen Glück am Ende insgesamt an die hundertfünfzig Pfund besaßen. Vielleicht würde das Geld sogar reichen, um für Emily eine eigene Kajüte auf dem Schiff nach Amerika zu buchen. Dafür hatte Victor beschlossen, ab sofort auf seinen geliebten Schnupftabak zu verzichten. Was bedeutete der Verzicht auf diesen kleinen Genuss, wenn Emily vielleicht schon dieses Jahr seine Frau wurde?
    »So gut gelaunt, Mr. Springfield?«, fragte Mrs. Bigelow, die vor der Haustür mit einer Nachbarin plauderte, als Victor in der Catfish Row ankam.
    Statt einer Antwort gab er der Wirtin einen Kuss auf die Stirn, und zwei Schritte auf einmal nehmend, lief er die Stiege zu seiner Dachkammer hinauf.
    Als er die Tür öffnete, traute er seinen Augen nicht. Emily saß an einem festlich gedeckten Tisch. Sie trug Rouge auf den Wangen und hatte ihr bestes Kleid angezogen.
    »Was wird denn hier gefeiert?«, stammelte er. »Hast du … hast du etwa Geburtstag?«
    »Das kann ich nicht gerade behaupten, eher im Gegenteil«, sagte sie. »Komm, setz dich, ich habe extra einen zweiten Stuhl von Mrs. Bigelow ausgeliehen.«
    Victor trat an den Tisch, doch ohne Platz zu nehmen. »Was heißt das, eher im Gegenteil?«, fragte er misstrauisch.
    »Darüber möchte ich jetzt nicht reden«, erwiderte sie mit einem gezwungenen Lächeln.
    »Ich will es aber wissen! Irgendetwas stimmt hier doch nicht.« Irritiert blickte er auf den Tisch. Was er dort sah, verschlug ihm fast die Sprache. »Krabben und Weißwein?«
    »Das musst du unbedingt probieren. Es gibt nichts, was besser zusammenpasst.«
    »Und seit wann haben wir eine weiße Tischdecke?«
    »Die ist auch von Mrs. Bigelow. Sei also bitte vorsichtig und mach keine Flecken.«
    Victor stützte sich auf die Lehne des freien Stuhls. »Jetzt sag endlich, was das alles bedeutet. Was ist passiert?«
    Emily biss sich auf die Lippe. »Sie haben mir zwölf Schilling vom Lohn abgezogen«, sagte sie leise. »Das ist passiert!«
    »Waaaaas?« Jetzt verstand Victor überhaupt nichts mehr. »Sie knöpfen dir fast den ganzen Lohn ab, und du gehst los und kaufst Krabben und Wein?«
    »Französischen Bordeaux.« Sie reichte ihm die Flasche. »Ich habe sie schon aufgemacht. Du musst uns nur einschenken.«
    »Einen Teufel werde ich tun!« Victor rührte die Flasche nicht an.
    »Bitte, tu mir den

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