Die Rebellin
geschehen muss, aus dem Dienst treten. Der Fabrikant kann jede Arbeiterin ohne Kündigung für schlechte Arbeit oder unziemliches Betragen entlassen. 6. Jede Arbeiterin, die mit einer anderen sprechend, singend oder pfeifend angetroffen wird, entrichtet sechs Schilling Strafe. 7. Aus jedem Saal dürfen nie mehr als zwei Arbeiterinnen auf einmal kündigen.
Emily hatte sich darauf gefasst gemacht, in einem niedrigen, dunklen Raum arbeiten zu müssen, der vollgestopft war mit Webstühlen und Menschen. Tatsächlich aber war der Websaal eine riesig große, hohe und helle Halle, in der Hunderte von Webstühlen aufgestellt waren, doch in so großen Abständen von einander, dass die Arbeiterinnen und Inspektoren sich bequem zwischen den einzelnen Reihen bewegen konnten. Emily war ein Stein vom Herzen gefallen, als sie den Saal zum ersten Mal betreten hatte. So hatte sie sich vielleicht eine Fabrik in Amerika vorgestellt, doch nie und nimmer in England.
An den Webstühlen arbeiteten ausschließlich Frauen und Kinder, die einzigen Männer waren die Inspektoren in ihren blauen Uniformen und ein paar Mechaniker, die sich um die Wartung der Maschinen kümmerten. Als Webereiinspektor Davis Emily und die anderen mit ihr neu eingestellten Arbeiterinnen zu ihren Arbeitsplätzen gebracht hatte, hatte sie voller Bewunderung beobachtet, mit welcher Schnelligkeit die Frauen und Mädchen an den Webstühlen die Fäden vereinigten, sobald auf einer Spindel ein Faden riss. Das sah gar nicht wie Arbeit aus, eher wie ein Spiel von Elfen.
Mr. Davis hatte Emily und ihrer neuen Freundin Annie zwei Webstühle zugewiesen, die nur durch einen Gang voneinander getrennt waren. Annie, die schon in mehreren Webereien gearbeitet hatte, wusste, was sie zu tun hatte, und hatte gleich anfangen können. Doch auch Emily hatte keine zwei Minuten gebraucht, um die Arbeit selbstständig auszuführen. Diese bestand eigentlich nur darin, das Abspulen der Spindel zu beaufsichtigen und ab und zu die Enden eines Fadens zusammenzuknüpfen, den Rest erledigte die Maschine von allein. Dazu war keinerlei Kraft erforderlich, nur ein bisschen Geschick. Die Arbeit war so leicht, dass Emily sich wunderte, warum Annies Schwindel bei der Einstellung ihr überhaupt geholfen hatte. Unangenehm war nur die warme, feuchte Luft in dem Saal, die nötig war, damit der Einschlagsfaden nicht jeden Augenblick von neuem riss.
Von nun an verlief Emilys Leben im Rhythmus ihrer Arbeit. Morgens um fünf Uhr verließ sie die Wohnung in der Catfish Row, zusammen mit Victor, und während er hinunter zur Themse lief, zu den Speichern der Ostindien-Gesellschaft, eilte Emily in Richtung Norden, damit sie pünktlich um sechs, wenn die Glocke zum Dienstbeginn läutete, auf dem Gelände der Fabrik war, von wo sie abends um halb neun erst zurückkehrte, so müde und erschlagen, dass sie zu nichts anderem mehr Lust hatte, als zu schlafen, und sich nur mit größter Mühe überwinden konnte, ihre tägliche Zeichnung für den
Northern Star
anzufertigen.Sie hatte zuerst gar nicht begriffen, warum die leichte Arbeit sie so sehr ermüdete, doch schon bald wurde ihr bewusst, dass es gerade die scheinbare Leichtigkeit war, die ihre Arbeit so mühselig machte. Den ganzen Tag lang hatte sie so gut wie nichts zu tun, musste aber fortwährend stehen. Wer dabei erwischt wurde, dass er auf einer Fensterbank oder einem Korb saß, wurde mit einem Schilling bestraft, obwohl das Stehen zur Ausführung der Arbeit überhaupt nicht nötig war. Emily taten der Rücken, die Hüften und die Beine weh, und je länger sie auf die ewig sich drehende Spindel stierte, wovon ihr die Augen brannten, umso unerträglicher wurde ihr der Anblick. Die Beaufsichtigung der Maschine oder das Anknüpfen eines Fadens war keine Tätigkeit, die ihr Denken in irgendeiner Weise in Anspruch nahm, und doch erforderte sie so viel Aufmerksamkeit, dass man sich nicht mit anderen Dingen beschäftigen konnte, um sich abzulenken. Die Arbeit war die reine Langeweile, und Emily war dazu verdammt, ihren Körper und ihren Geist in dieser Langeweile verkommen zu lassen, von morgens bis abends. Denn die Dampfmaschine trieb ununterbrochen ihren Webstuhl an, ununterbrochen schnurrten und rasselten die Räder, Riemen und Spindeln, und wenn sie auch nur daran dachte, sich für einen Moment von dieser entsetzlichen Langeweile zu erholen, stand schon einer der Inspektoren mit dem Strafbuch hinter ihr, um ihr einen Schilling vom Lohn abzuziehen, falls sie
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