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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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mich in Ihre privaten Dinge einzumischen – darf ich Ihnen trotzdem eine Frage stellen?«
    Emily nickte.
    »Als ich mich in der Redaktion nach Ihnen erkundigt habe, kam ein junger Mann herein, der eine Zeichnung von Ihnen brachte. Er hatte eine Narbe auf der Stirn.«
    »Ja, und?«, fragte sie und zog ihre Hand zurück.
    Doch Cole hielt sie fest. »Um ganz offen zu sein, der Mann sah gefährlich aus. Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Miss Emily, das ist kein Umgang für Sie. Das ist, wie soll ich mich ausdrücken …« – er machte eine Pause, um einen passenden Vergleich zu finden, »… wie … wie wenn ein gesunder Apfel in einem Korb mit einem faulen Apfel in Berührung kommt.« Emily zuckte so heftig zusammen, dass er ihre Hand losließ.
    »Bitte, Sie dürfen mich nicht missverstehen«, sagte Cole, »ichwollte Ihre Gefühle nicht verletzen. Doch nicht nur Ihre Eltern, auch ich mache mir Sorgen um Sie. Große Sorgen, berechtigte Sorgen.« Mit einer Handbewegung zeigte er um sich. »Wie können Sie in einer solchen Kammer leben? Ich sehe zwar Krabben und Wein auf dem Tisch, aber sonst? Draußen auf der Straße, direkt unter Ihrem Fenster, treibt sich das übelste Gesindel von London herum, und wenn ich mir vorstelle, dass Sie zwischen diesen Leuten – nein, ich weiß nicht, wie Sie überhaupt ruhig schlafen können in einer solchen Umgebung.«
    Emily schnappte nach Luft. »Was fällt Ihnen ein, von faulen Äpfeln zu reden, Mr. Cole? Sie haben ja nicht die geringste Ahnung, was Sie da behaupten!« Sie machte einen Schritt zurück, um einen Abstand zwischen sich und diesen Mann zu legen.
    »Bitte verzeihen Sie, wenn ich etwas Falsches gesagt habe, aber …«
    »Gar nichts verzeihe ich Ihnen«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Was wissen Sie denn von den Menschen, über die Sie so leichtfertig urteilen? Was für ein Recht haben ausgerechnet Sie, sie als faule Äpfel zu bezeichnen? Wissen Sie, wie diese Menschen leben?«
    »Nun, Sie erinnern sich vielleicht, auch ich bin nicht gerade mit einem goldenen Löffel im Mund …«
    »Gar nichts wissen Sie, Mr. Cole! Sie nennen Ihre Weltausstellung ein Paradies, aber ist Ihnen je in den Sinn gekommen, dass dieses Paradies vielleicht eine Kehrseite hat? Eine schmutzige, scheußliche Kehrseite, die ganz und gar nicht zu dem Glanz des Kristallpalasts passt? Dass Ihr so genanntes Paradies auf dem Rücken ebender Menschen entstanden ist, die Sie als Gesindel beschimpfen?« Emily blickte ihn mit funkelnden Augen an, und als Cole nichts erwiderte, sagte sie: »Sehen Sie? Darauf haben Sie keine Antwort. Aber ich habe diese Kehrseite erlebt, ich bin in den Fabriken und Elendsvierteln gewesen und habe die Not der Menschen dort mit eigenen Augen gesehen.«
    Cole hob die Brauen. »Dann stammen die Bilder im
Northern Star
also wirklich von Ihnen?«
    »Allerdings, und wenn ich je in meinem Leben auf etwas stolz gewesen bin, dann darauf. Nein, Mr. Cole, ich kann Ihren Traum nicht mehr teilen, nicht mehr nach alledem, was ich gesehen habe. Ihr Traum ist in Wahrheit ein schrecklicher Alptraum, und wenn Sie je etwas für mich empfunden haben, dann müssen Sie akzeptieren, dass ich …«
    Sie verstummte mitten im Satz, doch sie wusste selber nicht, ob vor Empörung oder aus Unsicherheit. Was musste Cole akzeptieren? Dass sie mit Victor nach Amerika wollte? Das brachte sie nicht über die Lippen. Während ihre unausgesprochenen Worte wie eine offene Frage im Raum schwebten, schaute Cole sie schweigend an. Aus seinen Augen sprach ein Ernst, der Emily noch mehr verwirrte.
    »Ihre Anteilnahme am Elend der Armen berührt mich zutiefst, Miss Paxton«, sagte er nach einer Weile, »und Sie müssen mir glauben, dass die soziale Frage auch mich …« Plötzlich nahm er zum zweiten Mal ihre Hand, und bevor sie wusste, was geschah, sank er vor ihr auf die Knie. »Bitte, Emily, verzeihen Sie mir, was ich Ihnen angetan habe. Ich erwarte nichts von Ihnen und nehme es hin, dass Sie mich keines Wortes oder Blickes mehr würdigen. Aber tun Sie mir einen Gefallen – kommen Sie mit! Nicht wegen mir, nur um Ihrer selbst willen. Ich möchte, dass Sie glücklich werden, das ist der einzige Wunsch, den ich noch an Sie habe. Sie dürfen sich Ihre Zukunft nicht verbauen. Sie haben die glänzendsten Aussichten, die ganze Welt steht Ihnen offen. Wollen Sie das wirklich aufgeben?«

18
     
    Victor stand auf der London Bridge und schaute hinaus in die Nacht. In der Ferne, im Hafen von Bugsbys Reach, glitt

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