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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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noch nicht voll?«
    »Ich muss ein paar Ventile überprüfen. Anweisung des Ingenieurs.«
    Victor wartete, bis die anderen Arbeiter verschwunden waren, dann holte er aus seiner Tasche die Pläne, die er zusammen mit Emily aus dem Büro ihres Vaters entwendet hatte. Es musste alles ganz schnell gehen, er hatte nur eine Viertelstunde Zeit, bis die Heizer der nächsten Schicht kamen. Wenn man ihn erwischte, würde er den Rest seines Lebens in der Tretmühle verbringen.
    Es dauerte eine Weile, bis er das Röhrenlabyrinth auf dem Plan mit dem Röhrenlabyrinth unter der Decke in Übereinstimmung gebracht hatte. Dann folgte er der Hauptleitung nach Westen, in Richtung des Maschinensaals, wo die Aussteller ihre mechanischen Wunderwerke an die zentrale Dampfversorgung anschließen konnten: Maschinen für alle erdenklichen Zwecke, zur Herstellung von Baumwolle und Gewehrläufen, von Seidenstoffen und Stecknadeln, zum Bedrucken von Papier und zum Brechen von Zuckerrohr, Bohr-, Hobel- und Lochmaschinen, Drehbänke, Pumpen, Walzwerke, Rammen, Kräne und hydraulische Pressen.
    Nach ungefähr hundert Yards erreichte Victor eine Stelle, wodem Plan zufolge über ihm der Königsthron und der Kristallbrunnen stehen mussten. Hier, unter dem Zentrum des Transepts, wollte er den Sprengsatz installieren.
    Vorsichtig packte er die Kapsel aus, die er am Abend zuvor von Robert bekommen hatte. Der silberne Blechbehälter sah so harmlos aus, doch wenn Robert nicht übertrieben hatte, müsste der Inhalt ausreichen, um ein Stahlrohr und die Bodenplatte durchzuschlagen. Emily hatte über das ganze Gesicht gestrahlt, als Victor ihr die Kapsel gezeigt hatte.
    Mit der Fingerspitze berührte er das Rohr, das von der Hauptleitung durch die Decke in das Transept hinaufführte. Vor Schmerz zuckte er zurück, das Rohr war kochend heiß. Ihr Plan war, die Dampfleitung zu sprengen, die den Hauptkessel mit dem Maschinensaal verband, direkt unterhalb des Transepts, und dann … Während Victor den schmerzenden Finger in den Mund steckte, stellte er sich die Wirkung vor: Es würden nicht nur alle Räder still stehen, der austretende Dampf würde außerdem in einer riesigen Wolke durch das Bodenloch in den Pavillon steigen und dort alles in Nebel hüllen, den Kristallbrunnen und den Thron, die Ulmen und den Elefanten. Das ganze vermeintliche Paradies würde mit einem Schlag aussehen wie eine Hölle, die es in Wirklichkeit war.
    Wo konnte er den Sprengsatz anbringen, ohne jemanden zu gefährden? Victor schaute sich um. Der schwächste Punkt war dort, wo das senkrechte Rohr von der Hauptleitung abknickte. Wenn er die Kapsel in der Nähe des Knies deponierte, würde schon eine kleine Explosion genügen, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen.
    Er nahm gerade seinen Meißel aus der Tasche, als er plötzlich Schritte hörte und kurz darauf Stimmen. Gerade noch rechtzeitig konnte er hinter einem Mauervorsprung verschwinden, bevor auf dem Gang eine Gruppe von Männern auftauchte, allem Anschein nach Journalisten. Die meisten hielten Papierblöcke in den Händen und machten sich Notizen. Jetzt traten siebeiseite, um einem Mann Platz zu machen, der die Führung übernahm. Als Victor das Gesicht sah, stockte ihm der Atem: Der Mann war Joseph Paxton.
    »Und wie viel müssen die Aussteller für die Dampfkraft bezahlen?«, fragte ein Journalist.
    »Gar nichts«, erwiderte Paxton, kaum eine Armlänge von Victor entfernt. »Wir wollen ja für die Technik hier werben. Für die Technik und für den Fortschritt.«
    »Gilt das für alle? Auch für die Ausländer?«
    »Nein, so weit geht die Liebe nicht. Die Ausländer bitten wir natürlich zur Kasse, damit wir von ihrem Geld die britischen Aussteller versorgen können.«
    Die Männer lachten. »Glänzende Idee.«
    »Aber jetzt bringe ich Sie wieder nach oben. In einer Viertelstunde führt Mr. Chamberlain seine Wahlzettelmaschine vor. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen.«
    »Wahlzettelmaschine? Was ist das denn?«
    »Ein Apparat zur geheimen Abgabe und Auszählung von Wählerstimmen. Er wird für die moderne Demokratie wahrscheinlich einmal eine ähnliche Bedeutung erlangen wie die Dampfmaschine für unsere Fabriken und Manufakturen.«
    Victor packte die Wut. Ausgerechnet Joseph Paxton redete von Demokratie! Und was für ein überhebliches, selbstherrliches Gesicht er dabei zog – wie Gottvater persönlich! Beim Sprechen hob er immer wieder die buschigen Brauen in die Höhe, und seine Augen blitzten vor Freude. Victor

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