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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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musste sich beherrschen, um sich nicht auf ihn zu stürzen. Nur der Gedanke an den Plan, den er und Emily gefasst hatten, hielt ihn davon ab.
    Mit angehaltenem Atem wartete er, bis die Männer fort waren. Dann trat er aus seiner Deckung. Reichte die Zeit noch, um den Sprengsatz anzubringen? Er musste es versuchen, wenn er es heute nicht schaffte, würde es vielleicht Tage dauern, bis sich wieder eine ähnlich günstige Gelegenheit ergab. Vorsichtig löste er mit dem Meißel einen Stein aus der Wand, direkt unterhalbdes Rohrknies. Als er die Kapsel darin verstaute, zitterten seine Hände immer noch so sehr, dass er aufpassen musste, dass sie ihm nicht entglitt.
    So tief es ging, schob er die Kapsel in das Mauerloch und verdeckte sie mit einem Bausch Baumwolle. Jetzt sah die Nische so aus, als hätte dort jemand sein Putzzeug abgelegt. Das würde keinem auffallen, die Arbeiter, die die unterirdischen Rohre reinigten, machten das genauso. Victor wischte sich den Schweiß von der Stirn. Den Zünder würde er später anschließen. Robert hatte versprochen, ihn rechtzeitig zu besorgen. Mit einem Zünder konnte man die Explosion auslösen, ohne sich selbst zu gefährden.
    Wieder schrillte die Sirene, die nächste Schicht fing an. Eilig sammelte Victor seine Sachen zusammen und lief die Treppe hinauf, bevor ihn jemand entdeckte.
    Er hatte seinen Teil getan. Jetzt kam alles auf Emily an.

3
     
    »Und du musstest jeden Morgen Tante Rebeccas Kekse essen?«, fragte Georgey.
    »Jeden Morgen zum Frühstück, und jeden Nachmittag zum Tee.«
    Emily räusperte sich, als kratzten die Kekse ihr noch immer im Hals – die Kekse oder ihre eigenen Lügen. Sie war erst vor einer Stunde offiziell aus Manchester zurückgekehrt, in Erwartung peinlicher Fragen. Cole hatte bei seinem Besuch in der Catfish Row ja bis zuletzt versucht, sie umzustimmen, und sie konnte keineswegs sicher sein, dass er sein Versprechen, sie nicht zu verraten, wirklich gehalten hatte. Allein die Tatsache, dass er sie im Kristallpalast hatte laufen lassen, obwohl er sie zweifelsfreierkannt hatte, hatte sie ermutigt, das Risiko einzugehen. Doch offenbar besaß ihr ehemaliger Verlobter noch einen letzten Rest Anstand. Die peinlichen Fragen waren jedenfalls ausgeblieben, und falls ihre Eltern je Zweifel über ihren Verbleib während der letzten Wochen gehegt hatten, waren sie in der Überraschung über ihre Rückkehr untergegangen. Sogar ihre Mutter hatte einen Freudenschrei ausgestoßen und sie an sich gedrückt, als sie plötzlich vor der Tür gestanden hatte. Nur ihr Bruder Georgey, der als Einziger von ihren jüngeren Geschwistern mit den Erwachsenen am Mittagstisch saß, gab keine Ruhe und löcherte sie immer wieder mit neuen Erkundigungen nach ihrer Tante.
    »Igitt«, sagte er und schüttelte sich. »Ich glaube, sie macht die Kekse aus getrockneten Kuhfladen. Bist du deshalb so früh zurückgekommen? Du hattest doch geschrieben, dass du bis Oktober bleibst.«
    »Bis zum Ende der Weltausstellung, um genau zu sein«, fügte ihre Mutter hinzu.
    Emily wollte irgendetwas erwidern, dass der Zustand von Tante Rebecca sich gebessert oder dass sie Sehnsucht nach London gehabt habe, damit ihre Eltern in den wenigen Stunden, die sie noch in ihrem Hause war, keinen Verdacht schöpften. Doch wieder kam ihr Georgey zuvor.
    »Sag mal, das Kleid, das du da anhast, ist das nicht dasselbe, das du schon bei der Abreise anhattest? Hast du kein anderes mehr? Und guck mal – deine Hände! Die sind ja ganz dreckig! Wie von einer Fabrikarbeiterin.«
    Unwillkürlich versteckte Emily ihre Hände unter dem Tisch. »Jetzt halt aber endlich mal den Mund, Georgey«, sagte ihr Vater, bevor ihr eine passende Antwort einfiel. »Jetzt freuen wir uns ganz einfach, dass deine Schwester wieder bei uns bist.« Er wischte sich den Mund mit der Serviette ab, öffnete sein Zigarettenetui und reichte es Emily über den Tisch. »Möchtest du auch eine?«
    »Gerne«, sagte sie, dankbar für seine Hilfe.
    Sarah schüttelte stumm den Kopf, und Georgey bekam vor Staunen den Mund nicht wieder zu, als sie den ersten Zug inhalierte. Erst jetzt stellte sie fest, dass sie in den letzten Wochen keine einzige Zigarette geraucht hatte. Während sie den Rauch tief in die Lungen sog, sah sie sich um. Wie seltsam es war, hier zu sitzen, als wäre nichts gewesen. Alles schien wie früher – die neureiche Einrichtung des Esszimmers, die auf Hochglanz polierte Standuhr mit dem Nymphenpaar auf dem Aufsatz, Jonathans Unart,

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