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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Fleck zu ziehen, und an Regentagen weigerten sich die Schaffner,Fahrgäste für weniger als einen Penny überhaupt noch zu befördern, gleichgültig, wie kurz die Wegstrecke war. Die Verbindungen in die Vororte kamen zum Erliegen, weil die Busse, die sonst diese Linien frequentierten, nur noch zwischen Charing Cross und Hyde Park verkehrten, und auch die Droschkenkutscher kamen auf ihre Kosten, indem sie verirrte Touristen, die abseits der Hauptstraßen nach einer Herberge suchten, wie Fallobst vom Weg aufsammelten und in ihre Wagen luden, zu Tarifen, die das Dreifache der normalen Taxe betrugen.
    Das Exhibition-Fieber war auf seinen Höhepunkt gelangt, und der Handel in der City blühte, dass es eine Freude war. Vor den Spiegelglasfronten der Geschäfte paradierten livrierte Mohren und Chinesen, um Exhibition-Waren in feenhaft erleuchteten Schaufenstern anzupreisen. Ladenbesitzer schickten ihre Laufburschen durch die Straßen, mit zitronengelben oder feuerroten Plakaten auf Rücken und Bauch. Jeder Händler reklamierte für sich die sensationellsten Kolonialwaren, obwohl die Fälschungen bald jede Vorstellungskraft überstiegen. Während einheimische Austern für nur sieben Schilling das Dutzend zu haben waren, wurde indischer Tee aus schottischen Blaubeerblättern fabriziert und brasilianischer Kaffee aus englischen Zichorien, sodass in der ganzen Stadt bald keine echten Zichorien mehr aufzutreiben waren und an ihrer Stelle mit Ochsenblut vermischtes Sägemehl verkauft wurde. Mr. Green stieg mehrmals am Tag mit seinem Heißluftballon in den Himmel auf, und He-Sing, der kleine Chinese, der auf der Eröffnungsfeier die königliche Gesellschaft für eine Sekunde in Angst und Schrecken versetzt hatte, lud am Temple Pier die Passanten für einen Schilling Eintritt zur Besichtigung seiner schaukelnden Dschunke ein, die er dort vertäut hatte.
    Kein Zweifel, der Segen Gottes ruhte auf dem Unternehmen der Weltausstellung. Keine Spur von Aufruhr und Verschwörung! Obwohl sich täglich bis zu hunderttausend Menschen im Kristallpalast drängten, kam kein einziger Besucher in dem gläsernenPavillon zu Schaden. Die Konstabler, die während der Öffnungszeiten wachen Auges zwischen den Ständen und auf den Galerien patrouillierten, nahmen lediglich zwölf Taschendiebe fest, die insgesamt vier Pfund, fünf Schilling und drei Pence gestohlen hatten. Neunzig Pfund Falschgeld wurden an den Kassen der Erfrischungskioske registriert, doch stand dem Verlust der Verkauf von fast zwei Millionen Sandwiches und mehr als einer Millionen Flaschen Limonade gegenüber. Drei Frauen wurden von einer Gruppe walisischer Abstinenzler belästigt. Drei Unterröcke, zwei Gesäßpolster, drei Nadelkissen und zwölf Monokel wurden als verloren gemeldet, und auf einer Damentoilette des Gebäudes kam im August ein Mädchen zur Welt, das einem Bericht der
Illustrated London News
zufolge auf den Namen Chrystal getauft wurde.
    Ja, die beste aller möglichen Welten hatte in der Hauptstadt des britischen Empires Einzug gehalten, und während im Zeichen friedlichen Wettbewerbs die Profite der großen und kleinen Geschäftsleute in den Himmel stiegen, wurden vor den Toren des Kristallpalasts Tausende von Bibeln und Traktaten an die Besuchermassen verteilt, mit Hinweisungen für das eigene Seelenheil, den Frieden unter den Völkern und die Zukunft der Börsen.

2
     
    Es war eine Hölle aus schwarzer Hitze und lodernden Flammen. Hier, in den Katakomben des Kristallpalasts, dem Untergrund des Gebäudes, zu dem kein Besucher Zutritt hatte, von dessen Funktionieren jedoch das ganze System der Weltausstellung abhing wie der menschliche Körper vom stetig pumpenden Herz, arbeitete Victor als Heizer, an einem der zwei riesigen Dampfkessel, die all die Maschinen und Räderwerke in dem strahlenden,künstlichen Paradies wenige Meter über seinem Kopf mit der nötigen Energie versorgten. Schaufel für Schaufel warf er Kohle in den gefräßigen Schlund des Kessels, in stummem, unerbittlichem Eifer, der jede Anstrengung, jede Erniedrigung vergessen machte, weil er nur ein Ziel vor sich sah: Joseph Paxton vor den Augen der ganzen Welt zu entlarven, Joseph Paxton und sein falsches Paradies.
    Eine Sirene, fast so laut und schrill wie die im Coldbath-Fields-Gefängnis, ertönte. Die Arbeiter stellten ihre Schaufeln ab und verließen einer nach dem anderen den Raum. Nur Victor blieb zurück.
    »Worauf wartest du?«, fragte Paddy McIntire, sein Nebenmann.
    »Hast du die Schnauze

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