Die Rebellin
dann doch noch alles zum Guten. Ich könnte mir vorstellen, wenn sie den Schock überwunden hat und wieder zur Vernunft kommt, überlegt sie es sich vielleicht anders. – Ach, da fällt mir übrigens ein«, fügte er hinzu, als Cole etwas erwidern wollte, »ich habe gestern mit dem Herzog von Devonshire über Sie gesprochen. In Anbetracht Ihrer Verdienste um die Weltausstellung hält er es durchaus für möglich, dass die Königin Sie zum Ritter schlägt. Sie bräuchten nur ein wenig Unterstützung bei Hofe. Wenn Sie meiner Frau und mir den kleinen Gefallen täten, wäre der Herzog gerne bereit …«
Er ließ den Satz in der Schwebe, um Coles Reaktion abzuwarten. Der verzog keine Miene, doch Paxton wusste, wie ehrgeizig dieser Mann war. Einem solchen Angebot konnte er unmöglich widerstehen.
»Ich brauche Ihnen sicher nicht zu sagen, was eine solche Auszeichnung für Ihre weitere Karriere bedeuten würde.«
Cole schluckte, doch dann schüttelte er den Kopf. »Ich habe morgen einen Termin, mit einem deutschen Ingenieur, Dr. Jeffrath, den ich nicht verschieben kann. Der Mann reist übermorgen nach Berlin zurück.«
»Und was ist an diesem Termin so wichtig, dass Sie mir seinetwegen eine so dringende Bitte abschlagen?«
Paxton musste sich beherrschen, um nicht laut zu werden. Cole hingegen schien völlig ruhig. Mit der provozierenden Sicherheiteines Menschen, der sagt, was er sagen muss, antwortete er: »Dr. Jeffrath hat ein völlig neuartiges Atemgerät entwickelt. Ich verspreche mir sehr viel von dem Apparat. Er ist die letzte Hoffnung meiner Frau.«
»Aber das sind doch Illusionen!«, platzte Paxton heraus. »Ihre Frau ist todkrank, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie … ich meine, früher oder später …«
Mitten im Satz brach er ab, und es entstand ein betretenes Schweigen. Paxton spürte, dass er vor Scham rot anlief.
»Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.«
Ohne ein weiteres Wort nickte Cole ihm zu und ging hinaus.
14
»Ich glaube, ich habe ihn schon seit zwei Tagen nicht mehr gesehen«, sagte Mrs. Bigelow. »Dabei hatte er mir versprochen, den Teller zurückzubringen. Ich hatte ihm nämlich eine Kelle Bohneneintopf gebracht, er war in letzter Zeit ja nur noch Haut und Knochen. Na, Gott sei Dank, dass Sie sich wieder um ihn kümmern, Schätzchen. So ein Mann braucht doch eine Frau, sonst verkommt er ja.«
In einer Wolke von Frische und Sauberkeit, die den Kleidern der Wirtin entströmte, folgte Emily ihr die Stiege hinauf. Trotz Mrs. Bigelows Reden hoffte sie inständig, dass Victor in der Kammer war.
Sie hatte bei ihrer Ankunft in London gezögert, ob sie ihn erst hier oder im Kristallpalast suchen sollte, doch dann hatte sie sich für seine Wohnung entschieden. Was hatte er noch im Kristallpalast verloren, nachdem ihre Pläne sich so hoffnungslos zerschlagen hatten? Während sie sich fast Gewalt antun musste, um die unentwegt plappernde Wirtin nicht einfach beiseite zudrängen, stellte sie sich vor, wie gleich die Tür aufging und Victor vor ihr stand.
Und wenn nicht?
Emily hatte nicht den Mut, den Gedanken zu Ende zu denken, nicht den Mut und nicht die Kraft. Zwei endlose Tage hatte ihre Reise von Manchester gedauert – bei Coventry waren nach einem Zugunglück die Schienen aus dem Bahndamm gerissen, und sie hatte für die restliche Wegstrecke eine Postkutsche nehmen müssen, wie vor hundert Jahren. Während der überfüllte Wagen durch die Schlaglöcher gerumpelt war, hatte Emily ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel geschickt, dass Victor sich nichts angetan hatte. Mr. Pilgrim, Tante Rebeccas Nachbar, hatte ihr die Augen geöffnet, was sie mit ihrem Brief womöglich angerichtet hatte.
»Mr. Springfield!«
Endlich hatten sie den letzten Treppenabsatz erreicht, und Mrs. Bigelow klopfte an die Tür.
Emily horchte mit angehaltenem Atem. Nichts rührte sich. Ihr Herz pochte so stark, dass es ihr fast zum Hals raussprang. Um sich zu beruhigen, zählte sie leise bis zehn. Dass die Tür zugesperrt war, musste nichts Schlimmes bedeuten! Wahrscheinlich hatte Victor sich in seiner Kammer eingeschlossen, genauso wie sie selbst, nachdem sie die Wahrheit erfahren hatte. Wie an einen Strohhalm klammerte Emily sich an diese Hoffnung. Sollte Victor nur daliegen und schweigen – Hauptsache, er lebte!
Sie schob Mrs. Bigelow beiseite und rüttelte an der Klinke.
»Victor! Ich bin’s! Bitte mach auf!«
Wieder kam keine Antwort. Emily wurde fast wahnsinnig vor Angst.
»Haben Sie einen
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