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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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war nur noch das, was er tat. Nichts konnte ihn mehr erreichen, selbst der Gedanke, dass er in wenigen Minuten Tausende von Menschen mit sich in den Tod reißen würde, strich an ihm vorbei wie ein Lufthauch. Was kümmerten ihn diese Idioten? Sie hatten ihr Recht auf Leben schon lange verwirkt. Er hatte sie ja gesehen, wie sie durch die Ausstellung liefen und mit blöden Augen die Maschinen begafften, die ihre eigene Arbeit überflüssig machten, blind für die Wahrheit, die Emily und er als Einzige begriffen hatten …
    Plötzlich ertönte die Sirene.
    »Was ist denn jetzt los?«, rief Paddy, der seine Schaufel schon abgestellt hatte. »Schichtwechsel ist doch erst um sechs!«
    Es war, als würde die unsichtbare Glocke platzen, und Victor fiel in die Wirklichkeit zurück. Eine flaue, unbestimmte Panik packte ihn. Sollte sein Plan jetzt noch scheitern? So kurz vor dem Ziel?
    Vom Korridor näherten sich eilige Schritte. Die Tür flog auf und der Ingenieur stand im Raum.
    »Alle Mann raustreten! Die Königin will euch sehen!«

19
     
    Die Sirene war noch nicht verstummt, da kamen Mr. Bird und seine Heizer den Korridor entlanggelaufen. Emily fiel ein Stein vom Herzen. Einer von ihnen musste Victor sein.
    Die meisten Männer waren schon an ihr vorbei, da blickten sie zwei Augen an, aus einem fast schwarzen Gesicht. Der Mann stutzte, Wiedererkennen flackerte in seinen weißen Augen auf. »Victor?«
    Das schwarze Gesicht grinste sie an. Aber nein, das konnte ernicht sein, der Mann war viel zu klein. Bevor Emily wusste, wo sie das Gesicht schon mal gesehen hatte, lief der Fremde weiter.
    Unsicher schaute sie sich um. Wo sollte sie Victor suchen? Während die Schritte auf der Treppe verhallten, eilte sie den Korridor hinunter, in Richtung der Maschinensäle, von wo ein leises, bedrohliches Bullern zu hören war, wie von einem gewaltigen Ofen.
    Plötzlich stand sie vor einer grauen Metalltür, die mit großen, roten Buchstaben versehen war:
     
    BETRETEN VERBOTEN!
LEBENSGEFAHR!
     
    Ohne eine Sekunde zu zögern, öffnete Emily die Tür. Eine unsichtbare Hitzewelle schlug ihr entgegen, sodass sie die Arme vors Gesicht hob und einen Schritt zurücktrat.
    Als sie die Hände sinken ließ, sah sie Victor. Er war allein in dem Raum. Mit dem Rücken zu ihr stand er über einen riesigen Hahn gebeugt, der an dem größeren der zwei Dampfkessel angebracht war. Mit beiden Händen drehte er an dem Radkranz. Laut zischend entwich kochendes Wasser.
    »Victor!«
    Als er ihre Stimme hörte, fuhr er herum.
    »Was hast du hier zu suchen? Verschwinde!«
    Während er den Hahn wieder zudrehte, schaute Emily nach dem Manometer. Gott sei Dank – der Zeiger stand senkrecht nach oben. Doch dann sah sie das Sicherheitsventil, das nur eine Armlänge davon entfernt war, und ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Oben auf dem Ventil lag ein großer, schwerer Backstein.
    Bevor Victor reagieren konnte, raffte sie ihren Rock und kletterte auf die Leiter. Als sie das Glas vom Manometer nahm, begriff sie, was er getan hatte. Ein Stift klemmte in der Anzeige und fixierte den Zeiger im mittleren Bereich.
    Mit zitternden Fingern zog Emily den Stift heraus. Im selbenMoment schnellte der Zeiger über die rote Markierung hinaus in den Gefahrenbereich.
    »Großer Gott, was hast du vor?«
    Victor versuchte, sie von der Leiter zu zerren. »Lauf weg, Emily! Lauf, so schnell du kannst! Hier fliegt gleich alles in die Luft!«
    Sie sah sein Gesicht. Es bestand nur aus Dreck und Ruß und Verzweiflung.
    »Ich bleibe hier!«, erklärte sie.
    »Du sollst verschwinden, sage ich!«
    »Nur, wenn du mitkommst!«
    »Hau endlich ab, verdammt noch mal!«
    Er riss so heftig an ihrem Kleid, dass sie zu Boden fiel. Mit der Schulter prallte sie auf, ein scharfer Schmerz zuckte durch ihren Körper.
    Während sie sich aufrappelte, kletterte Victor auf die Leiter und begann an einem zweiten Rad zu drehen. Das musste der Schieber zwischen dem Kessel und der Dampfleitung sein.
    »Bist du wahnsinnig?«, schrie Emily. »Oben in der Halle sind Tausende von Menschen! Willst du die umbringen?«
    Victor hielt einen Moment inne und schaute sie an, mit großen, leeren Augen, als würde er sie nicht verstehen. War das Victor, der sie mit diesen Augen ansah, oder der Flaschengeist in ihm? Voller Angst blickte Emily auf das Manometer. Der Zeiger war noch weiter vorgerückt und hatte fast schon den Anschlag erreicht.
    Was sollte sie tun? An der Wand lehnte eine Schaufel. Emily packte sie und stieß

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